Page - 201 - in Das Schloss
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Erst jetzt merkte K., wie still es auf dem Gang geworden war, nicht nur hier in
diesem Teil des Ganges, wo er mit Frieda gewesen war und der zu den
Wirtschaftsräumen zu gehören schien, sondern auch in dem langen Gang mit
den früher so lebhaften Zimmern. So waren also die Herren doch endlich
eingeschlafen. Auch K. war sehr müde, vielleicht hatte er aus Müdigkeit sich
gegen Jeremias nicht so gewehrt, wie er es hätte tun sollen. Es wäre vielleicht
klüger gewesen, sich nach Jeremias zu richten, der seine Verkühlung sichtlich
übertrieb – seine Jämmerlichkeit stammte nicht von Verkühlung, sondern war
ihm angeboren und durch keinen Gesundheitstee zu vertreiben -, ganz sich
nach Jeremias zu richten, die wirklich große Müdigkeit ebenso zur Schau zu
stellen, hier auf dem Gang niederzusinken, was schon an sich sehr wohl tun
müßte, ein wenig zu schlummern und dann vielleicht auch ein wenig gepflegt
zu werden. Nur wäre es nicht so günstig ausgegangen wie bei Jeremias, der in
diesem Wettbewerb um das Mitleid gewiß, und wahrscheinlich mit Recht,
gesiegt hätte und offenbar auch in jedem anderen Kampf. K. war so müde,
daß er daran dachte, ob er nicht versuchen könnte, in eines dieser Zimmer zu
gehen, von denen gewiß manche leer waren, und sich in einem schönen Bett
auszuschlafen. Das hätte seiner Meinung nach Entschädigung für vieles
werden können. Auch einen Schlaftrunk hatte er bereit. Auf dem
Geschirrbrett, das Frieda auf dem Boden liegengelassen hatte, war eine kleine
Karaffe Rum gewesen. K. scheute nicht die Anstrengung des Rückwegs und
trank das Fläschchen leer.
Nun fühlte er sich wenigstens kräftig genug, vor Erlanger zu treten. Er
suchte Erlangers Zimmertür, aber da der Diener und Gerstäcker nicht mehr zu
sehen und alle Türen gleich waren, konnte er sie nicht finden. Doch glaubte
er, sich zu erinnern, an welcher Stelle des Ganges die Tür etwa gewesen war,
und beschloß, eine Tür zu öffnen, die seiner Meinung nach wahrscheinlich die
gesuchte war. Der Versuch konnte nicht allzu gefährlich sein, war es das
Zimmer Erlangers, so würde ihn dieser wohl empfangen, war es das Zimmer
eines anderen, so würde es doch möglich sein, sich zu entschuldigen und
wieder zu gehen, und schlief der Gast, was am wahrscheinlichsten war, würde
K.s Besuch gar nicht bemerkt werden; schlimm konnte es nur werden, wenn
das Zimmer leer war, denn dann würde K. kaum der Versuchung widerstehen
können, sich ins Bett zu legen und endlos zu schlafen. Er sah noch einmal
nach rechts und links den Gang entlang, ob nicht doch jemand käme, der ihm
Auskunft geben und das Wagnis unnötig machen könnte, aber der lange Gang
war still und leer. Dann horchte K. an der Tür, auch hier kein Gast. Er klopfte
so leise, daß ein Schlafender dadurch nicht hätte geweckt werden können, und
als auch jetzt nichts erfolgte, öffnete er äußerst vorsichtig die Tür. Aber nun
empfing ihn ein leichter Schrei.
Es war ein kleines Zimmer, von einem breiten Bett mehr als zur Hälfte
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik