Page - 209 - in Das Schloss
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beschäftigt‹ im Sinne der Sekretäre.« K. nickte lächelnd, er glaubte jetzt, alles
genau zu verstehen; nicht deshalb, weil es ihn bekümmerte, sondern weil er
nun überzeugt war, in den nächsten Augenblicken würde er völlig
einschlafen, diesmal ohne Traum und Störung; zwischen den zuständigen
Sekretären auf der einen Seite und den unzuständigen auf der anderen und
angesichts der Masse der voll beschäftigten Parteien würde er in tiefen Schlaf
sinken und auf diese Weise allem entgehen. An die leise, selbstzufriedene, für
das eigene Einschlafen offenbar vergeblich arbeitende Stimme Bürgels hatte
er sich nun so gewöhnt, daß sie seinen Schlaf mehr befördern als stören
würde. Klappere, Mühle, klappere, dachte er, du klapperst nur für mich. »Wo
ist nun also«, sagte Bürgel, mit zwei Fingern an der Unterlippe spielend, mit
geweiteten Augen, gestrecktem Hals, etwa als nähere er sich nach einer
mühseligen Wanderung einem entzückenden Aussichtspunkt, »wo ist nun also
jene erwähnte, seltene, fast niemals vorkommende Möglichkeit? Das
Geheimnis steckt in den Vorschriften über die Zuständigkeit. Es ist nämlich
nicht so und kann bei einer großen lebendigen Organisation nicht so sein, daß
für jede Sache nur ein bestimmter Sekretär zuständig ist. Es ist nur so, daß
einer die Hauptzuständigkeit hat, viele andere aber auch zu gewissen Teilen
eine, wenn auch kleinere Zuständigkeit haben. Wer könnte allein, und wäre es
der größte Arbeiter, alle Beziehungen auch nur des kleinsten Vorfalles auf
seinem Schreibtisch zusammenhalten? Selbst was ich von der
Hauptzuständigkeit gesagt habe, ist zuviel gesagt. Ist nicht in der kleinsten
Zuständigkeit auch schon die ganze? Entscheidet hier nicht die Leidenschaft,
mit welcher die Sache ergriffen wird? Und ist die nicht immer die gleiche,
immer in voller Stärke da? In allem mag es Unterschiede unter den Sekretären
geben, und es gibt solcher Unterschiede unzählige, in der Leidenschaft aber
nicht; keiner von ihnen wird sich zurückhalten können, wenn an ihn die
Aufforderung herantritt, sich mit einem Fall, für den er nur die geringste
Zuständigkeit besitzt, zu beschäftigen. Nach außen allerdings muß eine
geordnete Verhandlungsmöglichkeit geschaffen werden, und so tritt für die
Parteien je ein bestimmter Sekretär in den Vordergrund, an den sie sich
amtlich zu halten haben. Es muß dies aber nicht einmal derjenige sein, der die
größte Zuständigkeit für den Fall besitzt, hier entscheidet die Organisation
und ihre besonderen augenblicklichen Bedürfnisse. Dies ist die Sachlage. Und
nun erwägen Sie, Herr Landvermesser, die Möglichkeit, daß eine Partei durch
irgendwelche Umstände trotz den Ihnen schon beschriebenen, im allgemeinen
völlig ausreichenden Hindernissen dennoch mitten in der Nacht einen
Sekretär überrascht, der eine gewisse Zuständigkeit für den betreffenden Fall
besitzt. An eine solche Möglichkeit haben Sie wohl noch nicht gedacht? Das
will ich Ihnen gern glauben. Es ist ja auch nicht nötig, an sie zu denken, denn
sie kommt ja fast niemals vor. Was für ein sonderbar und ganz bestimmt
geformtes, kleines und geschicktes Körnchen müßte eine solche Partei sein,
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik