Page - 211 - in Das Schloss
Image of the Page - 211 -
Text of the Page - 211 -
Partei zwingt uns in der Nacht, wie der Räuber im Wald, Opfer ab, deren wir
sonst niemals fähig wären; nun gut, so ist es jetzt, wenn die Partei noch da ist,
uns stärkt und zwingt und aneifert und alles noch halb besinnungslos im
Gange ist; wie wird es aber nachher sein, wenn es vorüber ist, die Partei,
gesättigt und unbekümmert, uns verläßt und wir dastehen, allein, wehrlos im
Angesicht unseres Amtsmißbrauches – das ist gar nicht auszudenken! Und
trotzdem sind wir glücklich. Wie selbstmörderisch das Glück sein kann! Wir
könnten uns ja anstrengen, der Partei die wahre Lage geheimzuhalten. Sie
selbst aus eigenem merkt ja kaum etwas. Sie ist ja ihrer Meinung nach
wahrscheinlich nur aus irgendwelchen gleichgültigen, zufälligen Gründen –
übermüdet, enttäuscht, rücksichtslos und gleichgültig aus Übermüdung und
Enttäuschung – in ein anderes Zimmer gedrungen, als sie wollte, sie sitzt
unwissend da und beschäftigt sich in Gedanken, wenn sie sich überhaupt
beschäftigt, mit ihrem Irrtum oder mit ihrer Müdigkeit. Könnte man sie nicht
dabei verlassen? Man kann es nicht. In der Geschwätzigkeit der Glücklichen
muß man ihr alles erklären. Man muß, ohne sich im geringsten schonen zu
können, ihr ausführlich zeigen, was geschehen ist, und aus welchen Gründen
dies geschehen ist, wie außerordentlich selten und wie einzig groß die
Gelegenheit ist, man muß zeigen, wie die Partei zwar in diese Gelegenheit in
aller Hilflosigkeit, wie sie deren kein anderes Wesen als eben nur eine Partei
fähig sein kann, hineingetappt ist, wie sie aber jetzt, wenn sie will, Herr
Landvermesser, alles beherrschen kann und dafür nichts anderes zu tun hat,
als ihre Bitte irgendwie vorzubringen, für welche die Erfüllung schon bereit
ist, ja, welcher sie sich entgegenstreckt, das alles muß man zeigen; es ist die
schwere Stunde des Beamten. Wenn man aber auch das getan hat, ist, Herr
Landvermesser, das Notwendigste geschehen, man muß sich bescheiden und
warten.«
K. schlief, abgeschlossen gegen alles, was geschah. Sein Kopf, der zuerst
auf dem linken Arm oben auf dem Bettpfosten gelegen war, war im Schlaf
abgeglitten und hing nun frei, langsam tiefer sinkend; die Stütze des Armes
oben genügte nicht mehr, unwillkürlich verschaffte K. sich eine neue dadurch,
daß er die rechte Hand gegen die Bettdecke stemmte, wobei er zufällig gerade
den unter der Decke anfragenden Fuß Bürgels ergriff. Bürgel sah hin und
überließ ihm den Fuß, so lästig das sein mochte.
Da klopfte es mit einigen starken Schlägen an die Seitenwand. K. schrak
auf und sah die Wand an. »Ist nicht der Landvermesser dort?« fragte es. »Ja«,
sagte Bürgel, befreite seinen Fuß von K. und streckte sich plötzlich wild und
mutwillig wie ein kleiner Junge. »Dann soll er endlich herüberkommen«,
sagte es wieder; auf Bürgel oder darauf, daß er etwa K. noch benötigen
könnte, wurde keine Rücksicht genommen. »Es ist Erlanger«, sagte Bürgel
flüsternd; daß Erlanger im Nebenzimmer war, schien ihn nicht zu
211
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik