Page - 212 - in Das Schloss
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überraschen. »Gehen Sie gleich zu ihm, er ärgert sich schon, suchen Sie ihn
zu besänftigen. Er hat einen guten Schlaf; wir haben uns aber doch zu laut
unterhalten; man kann sich und seine Stimme nicht beherrschen, wenn man
von gewissen Dingen spricht. Nun, gehen Sie doch, Sie scheinen sich ja aus
dem Schlaf gar nicht herausarbeiten zu können. Gehen Sie, was wollen Sie
denn noch hier? Nein, Sie müssen sich wegen Ihrer Schläfrigkeit nicht
entschuldigen, warum denn? Die Leibeskräfte reichen nur bis zu einer
gewissen Grenze; wer kann dafür, daß gerade diese Grenze auch sonst
bedeutungsvoll ist? Nein, dafür kann niemand. So korrigiert sich selbst die
Welt in ihrem Lauf und behält das Gleichgewicht. Das ist ja eine vorzügliche,
immer wieder unvorstellbar vorzügliche Einrichtung, wenn auch in anderer
Hinsicht trostlos. Nun, gehen Sie, ich weiß nicht, warum Sie mich so ansehen.
Wenn Sie noch lange zögern, kommt Erlanger über mich, das möchte ich sehr
gern vermeiden. Gehen Sie doch; wer weiß, was Sie drüben erwartet, hier ist
ja alles voll Gelegenheiten. Nur gibt es freilich Gelegenheiten, die
gewissermaßen zu groß sind, um benützt zu werden, es gibt Dinge, die an
nichts anderem als an sich selbst scheitern. Ja, das ist staunenswert. Übrigens
hoffe ich jetzt doch, ein wenig einschlafen zu können. Freilich ist es schon
fünf Uhr, und der Lärm wird bald beginnen. Wenn wenigstens Sie schon
gehen wollten!«
Betäubt von dem plötzlichen Gewecktwerden aus tiefem Schlaf, noch
grenzenlos schlafbedürftig, mit überall infolge der unbequemen Haltung
schmerzhaftem Körper, konnte sich K. lange nicht entschließen aufzustehen,
hielt sich die Stirn und sah hinab auf seinen Schoß. Selbst die fortwährenden
Verabschiedungen Bürgels hätten ihn nicht dazu bewegen können,
fortzugehen, nur ein Gefühl der völligen Nutzlosigkeit jeden weiteren
Aufenthaltes in diesem Zimmer brachte ihn langsam dazu. Unbeschreiblich
öde schien ihm dieses Zimmer. Ob es so geworden oder seit jeher so gewesen
war, wußte er nicht. Nicht einmal wieder einzuschlafen würde ihm hier
gelingen. Diese Überzeugung war sogar das Entscheidende; darüber ein
wenig lächelnd, erhob er sich, stützte sich, wo er nur eine Stütze fand, am
Bett, an der Wand, an der Tür, und ging, als hätte er sich längst von Bürgel
verabschiedet, ohne Gruß hinaus.
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik