Page - 216 - in Das Schloss
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welcher Anspruch auf die Akten zu haben glaubte, war äußerst ungeduldig,
machte in seinem Zimmer großen Lärm, klatschte in die Hände, stampfte mit
den Füßen, rief durch den Türspalt immer wieder eine bestimmte
Aktennummer in den Gang hinaus. Dann blieb das Wägelchen oft ganz
verlassen. Der eine Diener war damit beschäftigt, den Ungeduldigen zu
besänftigen, der andere kämpfte vor der geschlossenen Tür um die Rückgabe.
Beide hatten es schwer. Der Ungeduldige wurde durch die
Besänftigungsversuche oft noch ungeduldiger, er konnte die leeren Worte des
Dieners gar nicht mehr anhören, er wollte nicht Trost, er wollte Akten; ein
solcher Herr goß einmal oben durch den Spalt ein ganzes Waschbecken auf
den Diener aus. Der andere Diener, offenbar der im Rang höhere, hatte es
aber noch viel schwerer. Ließ sich der betreffende Herr auf Verhandlungen
überhaupt ein, gab es sachliche Besprechungen, bei welchen sich der Diener
auf sein Verzeichnis, der Herr auf seine Vormerkungen und gerade auf die
Akten berief, die er zurückgeben sollte, die er aber vorläufig fest in der Hand
hielt, so daß kaum ein Eckchen von ihnen für die begehrlichen Augen des
Dieners sichtbar blieb. Auch mußte dann der Diener wegen neuer Beweise zu
dem Wägelchen zurücklaufen, das auf dem ein wenig sich senkenden Gang
immer von selbst ein Stück weitergerollt war, oder er mußte zu dem die Akten
beanspruchenden Herrn gehen und dort die Einwände des bisherigen
Besitzers für neue Gegeneinwände austauschen. Solche Verhandlungen
dauerten sehr lange, bisweilen einigte man sich, der Herr gab etwa einen Teil
der Akten heraus oder bekam als Entschädigung andere Akten, da nur eine
Verwechslung vorgelegen hatte; es kam aber auch vor, daß jemand auf alle
verlangten Akten ohne weiteres verzichten mußte, sei es, daß er durch die
Beweise des Dieners in die Enge getrieben war, sei es, daß er des
fortwährenden Handelns müde war, dann aber gab er die Akten nicht dem
Diener, sondern warf sie mit plötzlichem Entschluß weit in den Gang hinaus,
daß sich die Bindfäden lösten und die Blätter flogen und die Diener viel Mühe
hatten, alles wieder in Ordnung zu bringen. Aber alles war noch
verhältnismäßig einfacher, als wenn der Diener auf seine Bitten um Rückgabe
überhaupt keine Antwort bekam, dann stand er vor der verschlossenen Tür,
bat, beschwor, zitierte sein Verzeichnis, berief sich auf seine Vorschriften,
alles vergeblich, aus dem Zimmer kam kein Laut und, ohne Erlaubnis
einzutreten, hatte der Diener offenbar kein Recht. Dann verließ auch diesen
vorzüglichen Diener manchmal die Selbstbeherrschung, er ging zu seinem
Wägelchen, setzte sich auf die Akten, wischte sich den Schweiß von der Stirn
und unternahm ein Weilchen lang gar nichts, als hilflos mit den Füßen zu
schlenkern. Das Interesse an der Sache war ringsherum sehr groß, überall
wisperte es, kaum eine Tür war ruhig, und oben an der Wandbrüstung
verfolgten merkwürdigerweise mit Tüchern fast gänzlich vermummte
Gesichter, die überdies kein Weilchen lang ruhig an ihrer Stelle blieben, alle
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik