Page - 219 - in Das Schloss
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die K. hier im Bürobetriebe gesehen hatte, allerdings war es möglich, daß er
auch sie unrichtig verstand. Und selbst wenn es eine Unregelmäßigkeit war,
war sie zu verzeihen; bei den Verhältnissen, die hier herrschten, konnte der
Diener nicht fehlerlos arbeiten, einmal mußte der angesammelte Ärger, die
angesammelte Unruhe ausbrechen, und äußerte sie sich nur im Zerreißen
eines kleinen Zettels, war es noch unschuldig genug. Noch immer gellte ja die
Stimme des durch nichts zu beruhigenden Herrn durch den Gang, und die
Kollegen, die in anderer Hinsicht sich nicht sehr freundschaftlich zueinander
verhielten, schienen hinsichtlich des Lärms völlig einer Meinung zu sein; es
war allmählich, als habe der Herr die Aufgabe übernommen, Lärm für alle zu
machen, die ihn nur durch Zurufe und Kopfnicken aufmunterten, bei der
Sache zu bleiben. Aber nun kümmerte sich der Diener gar nicht mehr darum,
er war mit seiner Arbeit fertig, zeigte auf den Handgriff des Wägelchens, daß
ihn der andere Diener fasse, und so zogen sie wieder weg, wie sie gekommen
waren, nur zufriedener und so schnell, daß das Wägelchen vor ihnen hüpfte.
Nur einmal zuckten sie noch zusammen und blickten zurück, als der
immerfort schreiende Herr, vor dessen Tür sich K. jetzt herumtrieb, weil er
gern verstanden hätte, was der Herr eigentlich wollte, mit dem Schreien
offenbar nicht mehr das Auskommen fand, wahrscheinlich den Knopf einer
elektrischen Glocke entdeckt hatte und, wohl entzückt darüber, so entlastet zu
sein, statt des Schreiens jetzt ununterbrochen zu läuten anfing. Daraufhin
begann ein großes Gemurmel in den anderen Zimmern, es schien
Zustimmung zu bedeuten, der Herr schien etwas zu tun, was alle gern schon
längst getan hätten und nur aus unbekanntem Grunde hatten unterlassen
müssen. War es vielleicht die Bedienung, vielleicht Frieda, die der Herr
herbeiläuten wollte? Da mochte er lange läuten. Frieda war ja damit
beschäftigt, Jeremias in nasse Tücher zu wickeln, und selbst, wenn er schon
gesund sein sollte, hatte sie keine Zeit, denn dann lag sie in seinen Armen.
Aber das Läuten hatte doch sofort eine Wirkung. Schon eilte aus der Ferne
der Herrenhofwirt selbst herbei, schwarz gekleidet und zugeknöpft wie
immer; aber es war, als vergesse er seine Würde, so lief er; die Arme hatte er
halb ausgebreitet, so, als sei er wegen eines großen Unglücks gerufen und
komme, um es zu fassen und an seiner Brust gleich zu ersticken, und unter
jeder kleinen Unregelmäßigkeit des Läutens schien er kurz hochzuspringen
und sich noch mehr zu beeilen. Ein großes Stück hinter ihm erschien nun
auch noch seine Frau, auch sie lief mit ausgebreiteten Armen, aber ihre
Schritte waren kurz und geziert, und K. dachte, sie werde zu spät kommen,
der Wirt werde inzwischen alles Nötige getan haben. Und um dem Wirt für
seinen Lauf Platz zu machen, stellte sich K. eng an die Wand. Aber der Wirt
blieb gerade bei K. stehen, als sei dieser sein Ziel, und gleich war auch die
Wirtin da, und beide überhäuften ihn mit Vorwürfen, die er in der Eile und
Überraschung nicht verstand, besonders, da sich auch die Glocke des Herrn
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik