Page - 228 - in Das Schloss
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geht nichts verloren, jedes Papierchen liefert man beim Wirt ab, aber Akten
gehen freilich doch verloren, nur eben nicht durch die Mädchen. Und dann
kommen Kommissionen, und die Mädchen müssen ihr Zimmer verlassen, und
die Kommission durchwühlt die Betten, die Mädchen haben ja kein
Eigentum, ihre wenigen Sachen haben in einem Rückenkorb Platz, aber die
Kommission sucht doch stundenlang. Natürlich findet sie nichts, wie sollten
dort Akten hinkommen? Was machen sich die Mädchen aus Akten? Aber das
Ergebnis sind doch wieder nur durch den Wirt vermittelte Schimpfworte und
Drohungen seitens der enttäuschten Kommission. Und niemals Ruhe, nicht
bei Tag, nicht bei Nacht, Lärm die halbe Nacht und Lärm vom frühesten
Morgen. Wenn man dort wenigstens nicht wohnen müßte, aber das muß man,
denn in den Zwischenzeiten je nach Bestellung Kleinigkeiten aus der Küche
zu bringen, ist doch Sache der Zimmermädchen, besonders in der Nacht.
Immer plötzlich der Faustschlag gegen die Tür der Zimmermädchen, das
Diktieren der Bestellung, das Hinunterlaufen in die Küche, das Aufrütteln der
schlafenden Küchenjungen, das Hinausstellen der Tasse mit den bestellten
Dingen vor die Tür der Zimmermädchen, woher es die Knechte holen, wie
traurig ist das alles. Aber es ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist
vielmehr, wenn keine Bestellung kommt, wenn es nämlich in tiefer Nacht, wo
alles schon schlafen sollte und auch die meisten endlich wirklich schlafen,
manchmal vor der Tür der Zimmermädchen herumzuschleichen anfängt.
Dann steigen die Mädchen aus ihren Betten – die Betten sind übereinander, es
ist ja dort überall sehr wenig Raum, das ganze Zimmer der Mädchen ist
eigentlich nichts anderes als ein großer Schrank mit drei Fächern -, horchen
an der Tür, knien nieder, umarmen einander in Angst. Und immerfort hört
man den Schleicher vor der Tür. Alle wären schon glücklich, wenn er endlich
hereinkäme, aber es geschieht nichts, niemand kommt herein. Und dabei muß
man sich sagen, daß hier nicht unbedingt eine Gefahr drohen muß, vielleicht
ist es nur jemand, der vor der Tür auf und ab geht, überlegt, ob er eine
Bestellung machen soll, und sich dann doch nicht dazu entschließen kann.
Vielleicht ist es nur das, vielleicht aber ist es etwas ganz anderes. Eigentlich
kennt man ja die Herren gar nicht, man hat sie ja kaum gesehen. Jedenfalls
vergehen die Mädchen drinnen vor Angst und, wenn es draußen endlich still
ist, lehnen sie an der Wand und haben nicht genug Kraft, wieder in ihre Betten
zu steigen. Dieses Leben wartet wieder auf Pepi, noch heute abend soll sie
wieder ihren Platz im Mädchenzimmer beziehen. Und warum? Wegen K. und
Frieda. Wieder zurück in dieses Leben, dem sie kaum entflohen ist, dem sie
zwar mit K.s Hilfe, aber doch auch mit größter eigener Anstrengung entflohen
ist. Denn in jenem Dienst dort vernachlässigen sich die Mädchen, auch die
sonst sorgsamsten. Für wen sollen sie sich schmücken? Niemand sieht sie,
bestenfalls das Personal in der Küche; welcher das genügt, die mag sich
schmücken. Sonst aber immerfort in ihrem Zimmerchen oder in den Zimmern
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik