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Derartiges? Nun, dann hätte er es von allem Anfang an anders anstellen
müssen. Er ist doch gar nichts, es ist ein Jammer, seine Lage anzusehen. Er ist
Landvermesser, das ist vielleicht etwas, er hat also etwas gelernt, aber wenn
man nichts damit anzufangen weiß, ist es doch auch wieder nichts. Und dabei
stellt er Ansprüche, ohne den geringsten Rückhalt zu haben, stellt er
Ansprüche, nicht geradezu, aber man merkt, daß er irgendwelche Ansprüche
macht, das ist doch aufreizend. Ob er denn wisse, daß sich sogar ein
Zimmermädchen etwas vergibt, wenn sie länger mit ihm spricht. Und mit
allen diesen besonderen Ansprüchen plumpst er gleich am ersten Abend in die
gröbste Falle. Schämt er sich denn nicht? Was hat ihn denn an Frieda so
bestochen? Jetzt könnte er es doch gestehen. Hat sie ihm denn wirklich
gefallen können, dieses magere, gelbliche Ding? Ach nein, er hat sie ja gar
nicht angesehen, sie hat ihm nur gesagt, daß sie Klamms Geliebte sei, bei ihm
schlug das noch als Neuigkeit ein, und da war er verloren! Sie aber mußte nun
ausziehen, jetzt war natürlich kein Platz mehr für sie im Herrenhof. Pepi hat
sie noch am Morgen vor dem Auszug gesehen, das Personal war
zusammengelaufen, neugierig auf den Anblick war doch jeder. Und so groß
war noch ihre Macht, daß man sie bedauerte; alle, auch ihre Feinde,
bedauerten sie; so richtig erwies sich schon am Anfang ihre Rechnung; an
einen solchen Mann sich weggeworfen zu haben, schien allen unbegreiflich
und ein Schicksalsschlag, die kleinen Küchenmädchen die natürlich jedes
Ausschankmädchen bewundern, waren untröstlich. Selbst Pepi war davon
berührt, nicht einmal sie konnte sich ganz wehren, wenn auch ihre
Aufmerksamkeit eigentlich etwas anderem galt. Ihr fiel auf, wie wenig traurig
Frieda eigentlich war. Es war doch im Grunde ein entsetzliches Unglück, das
sie betroffen hatte, sie tat ja auch so, als wenn sie sehr unglücklich wäre, aber
es war nicht genug, dieses Spiel konnte Pepi nicht täuschen. Was hielt sie also
aufrecht? Etwa das Glück der neuen Liebe? Nun, diese Erwägung schied aus.
Was war es aber sonst? Was gab ihr die Kraft, sogar gegen Pepi, die damals
schon als ihre Nachfolgerin galt, kühl freundlich zu sein wie immer? Pepi
hatte damals nicht genug Zeit, darüber nachzudenken, sie hatte zuviel zu tun
mit den Vorbereitungen für die neue Stelle. Sie sollte sie wahrscheinlich in ein
paar Stunden antreten und hatte noch keine schöne Frisur, kein elegantes
Kleid, keine feine Wäsche, keine brauchbaren Schuhe. Das alles mußte in ein
paar Stunden beschafft werden; konnte man sich nicht richtig ausstatten, dann
war es besser, auf die Stelle überhaupt zu verzichten, denn dann verlor man
sie schon in der ersten halben Stunde ganz gewiß. Nun, es gelang zum Teil.
Fürs Frisieren hat sie eine besondere Anlage, einmal hat die Wirtin sogar sie
kommen lassen, ihr die Frisur zu machen, es ist das eine besondere
Leichtigkeit der Hand, die ihr gegeben ist, freilich fügt sich auch ihr reiches
Haar gleich, wie man nur will. Auch für das Kleid war Hilfe da. Ihre beiden
Kolleginnen hielten treu zu ihr, es ist auch eine gewisse Ehre für sie, wenn ein
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik