Page - 235 - in Das Schloss
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vielleicht noch früher, hätte sie nicht vorsorglich durch ihren großen Skandal
sich im Mund der Leute erhalten, sie war den Leuten dadurch neu geworden,
nur aus Neugierde hätten sie sie gerne wiedergesehen; was ihnen öde bis zum
Überdruß geworden war, hatte durch des sonst gänzlich gleichgültigen K.s
Verdienst wieder einen Reiz für sie, Pepi hätten sie dafür freilich nicht
hingegeben, solange sie dastand und durch ihre Gegenwart wirkte, aber es
sind meist ältere Herren, schwerfällig in ihren Gewohnheiten, ehe sie sich an
ein neues Ausschankmädchen gewöhnen, dauert es, und sei der Tausch noch
so vorteilhaft, doch ein paar Tage, gegen den eigenen Willen der Herren
dauert es ein paar Tage, vielleicht nur fünf Tage, aber vier Tage reichen nicht
aus, Pepi galt trotz allem nur immer noch als die Provisorische. Und dann das
vielleicht größte Unglück: In diesen vier Tagen kam Klamm, obwohl er
während der ersten beiden Tage im Dorfe war, in das Gastzimmer nicht
herunter. Wäre er gekommen, das wäre Pepis entscheidendste Erprobung
gewesen, eine Erprobung übrigens, die sie am wenigsten fürchtete, auf die sie
sich eher freute. Sie wäre – an solche Dinge rührt man freilich am besten gar
nicht mit Worten – Klamms Geliebte nicht geworden und hätte sich auch
nicht zu einer solchen hinaufgelogen, aber sie hätte zumindest so nett wie
Frieda das Bierglas auf den Tisch zu stellen gewußt, ohne Friedas
Aufdringlichkeiten hübsch gegrüßt und hübsch sich empfohlen, und wenn
Klamm überhaupt in den Augen eines Mädchens etwas sucht, er hätte es in
Pepis Augen bis zur völligen Sättigung gefunden. Aber warum kam er nicht?
Aus Zufall? Pepi hatte das damals auch geglaubt. Die beiden Tage lang
erwartete sie ihn jeden Augenblick, auch in der Nacht wartete sie. Jetzt wird
Klamm kommen, dachte sie immerfort und lief hin und her ohne anderen
Grund als die Unruhe der Erwartung und das Verlangen, ihn als erste sofort
bei seinem Eintritt zu sehen. Diese fortwährende Enttäuschung ermüdete sie
sehr; vielleicht leistete sie deshalb nicht so viel, als hätte sie leisten können.
Sie schlich, wenn sie ein wenig Zeit hatte, hinauf in den Korridor, den zu
betreten dem Personal streng verboten ist, dort drückte sie sich in eine Nische
und wartete. Wenn doch jetzt Klamm käme, dachte sie, wenn ich doch den
Herrn aus seinem Zimmer nehmen und auf meinen Armen in das Gastzimmer
hinuntertragen könnte. Unter dieser Last würde ich nicht zusammensinken,
und wäre sie noch so groß. Aber er kam nicht. In diesem Korridor oben ist es
so still, daß man es sich gar nicht vorstellen kann, wenn man nicht dort
gewesen ist. Es ist so still, daß man es dort gar nicht lange aushalten kann, die
Stille treibt einen fort. Aber immer wieder; zehnmal vertrieben, zehnmal
wieder stieg Pepi hinauf Es war ja sinnlos. Wenn Klamm kommen wollte,
würde er kommen, wenn er aber nicht kommen wollte, würde ihn Pepi nicht
herauslocken, auch wenn sie in der Nische vor Herzklopfen halb erstickte. Es
war sinnlos, aber wenn er nicht kam, war ja fast alles sinnlos. Und er kam
nicht. Heute weiß Pepi, warum Klamm nicht kam. Frieda hätte eine herrliche
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik