Page - 239 - in Das Schloss
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ebenso großartig wie falsch auf das Ganze zu schließen. Die Folge dessen ist,
daß ich zum Beispiel in diesem Fall viel weniger weiß als du. Ich kann bei
weitem nicht so genau wie du erklären, warum Frieda mich verlassen hat. Die
wahrscheinlichste Erklärung scheint mir die auch von dir gestreifte, aber nicht
ausgenützte, daß ich sie vernachlässigt habe. Das ist leider wahr, ich habe sie
vernachlässigt, aber das hatte besondere Gründe, die nicht hierher gehören;
ich wäre glücklich, wenn sie zu mir zurückkäme, aber ich würde gleich
wieder anfangen, sie zu vernachlässigen. Es ist so. Da sie bei mir war, bin ich
immerfort auf den von dir verlachten Wanderungen gewesen; jetzt, da sie weg
ist, bin ich fast beschäftigungslos, bin müde, habe Verlangen nach immer
vollständigerer Beschäftigungslosigkeit. Hast du keinen Rat für mich, Pepi?«
– »Doch«, sagte Pepi, plötzlich lebhaft werdend und K. bei den Schultern
fassend, »wir sind beide die Betrogenen, bleiben wir beisammen. Komm mit
hinunter zu den Mädchen!« – »Solange du über Betrogenwerden klagst«,
sagte K., »kann ich mich nicht mit dir verständigen. Du willst immerfort
betrogen worden sein, weil dir das schmeichelt und weil es dich rührt. Die
Wahrheit aber ist, daß du für diese Stellung nicht geeignet bist. Wie klar muß
diese Nichteignung sein, wenn sogar ich, der deiner Meinung nach
Unwissendste, das einsehe. Du bist ein gutes Mädchen, Pepi; aber es ist nicht
ganz leicht, das zu erkennen, ich zum Beispiel habe dich zuerst für grausam
und hochmütig gehalten, das bist du aber nicht, es ist nur die Stelle, welche
dich verwirrt, weil du für sie nicht geeignet bist. Ich will nicht sagen, daß die
Stelle für dich zu hoch ist; es ist ja keine außerordentliche Stelle, vielleicht ist
sie, wenn man genau hinsieht, etwas ehrenvoller als deine frühere Stelle, im
ganzen aber ist der Unterschied nicht groß, beide sind eher zum Verwechseln
einander ähnlich; ja, man könnte fast behaupten, daß Zimmermädchensein
dem Ausschank vorzuziehen wäre, denn dort ist man immer unter Sekretären,
hier dagegen muß man, wenn man auch in den Gastzimmern die Vorgesetzten
der Sekretäre bedienen darf, doch auch mit ganz niedrigem Volk sich
abgeben, zum Beispiel mit mir; ich darf ja von Rechts wegen gar nicht
anderswo mich aufhalten als eben hier im Ausschank, und die Möglichkeit,
mit mir zu verkehren, sollte so über alle Maßen ehrenvoll sein? Nun, dir
scheint es so, und vielleicht hast du auch Gründe dafür. Aber eben deshalb
bist du ungeeignet. Es ist eine Stelle wie eine andere, für dich aber ist sie das
Himmelreich, infolgedessen faßt du alles mit übertriebenem Eifer an,
schmückst dich, wie deiner Meinung nach die Engel geschmückt sind – sie
sind aber in Wirklichkeit anders -, zitterst für die Stelle, fühlst dich immerfort
verfolgt, suchst alle, die deiner Meinung nach dich stützen könnten, durch
übergroße Freundlichkeiten zu gewinnen, störst sie aber dadurch und stößt sie
ab, denn sie wollen im Wirtshaus Frieden und nicht zu ihren Sorgen noch die
Sorgen der Ausschankmädchen. Es ist nur möglich, daß nach Friedas Abgang
niemand von den hohen Gästen das Ereignis eigentlich gemerkt hat, heute
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik