Page - 240 - in Das Schloss
Image of the Page - 240 -
Text of the Page - 240 -
aber wissen sie davon und sehnen sich wirklich nach Frieda, denn Frieda hat
alles doch wohl ganz anders geführt. Wie sie auch sonst sein mag und wie sie
auch ihre Stelle zu schätzen wußte, im Dienst war sie vielerfahren, kühl und
beherrscht, du hebst es ja selbst hervor, ohne allerdings von der Lehre zu
profitieren. Hast du einmal ihren Blick beachtet? Das war schon gar nicht
mehr der Blick eines Ausschankmädchens, das war schon fast der Blick einer
Wirtin. Alles sah sie und dabei auch jeden einzelnen, und der Blick, der für
den einzelnen übrigblieb, war noch stark genug, um ihn zu unterwerfen. Was
lag daran, daß sie vielleicht ein wenig mager, ein wenig ältlich war, daß man
sich reineres Haar vorstellen konnte, das sind Kleinigkeiten, verglichen mit
dem, was sie wirklich hatte, und derjenige, welchen diese Mängel gestört
hatten, hätte damit nur gezeigt, daß ihm der Sinn für Größeres fehlte. Klamm
kann man dies gewiß nicht vorwerfen, und es ist nur der falsche
Gesichtswinkel eines jungen, unerfahrenen Mädchens, der dich an Klamms
Liebe zu Frieda nicht glauben läßt. Klamm scheint dir – und dies mit Recht –
unerreichbar, und deshalb glaubst du, auch Frieda hätte an Klamm nicht
herankommen können. Du irrst. Ich würde darin allein Friedas Wort
vertrauen, selbst wenn ich nicht untrügliche Beweise dafür hätte. So
unglaublich es dir vorkommt und so wenig du es mit deinen Vorstellungen
von Welt und Beamtentum und Vornehmheit und Wirkung der
Frauenschönheit vereinen kannst, es ist doch wahr, so wie wir hier
nebeneinander sitzen und ich deine Hand zwischen die meinen nehme, so
saßen wohl, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt, auch
Klamm und Frieda nebeneinander, und er kam freiwillig herunter, ja eilte
sogar herab, niemand lauerte ihm im Korridor auf und vernachlässigte die
übliche Arbeit, Klamm mußte sich selbst bemühen herabzukommen, und die
Fehler in Friedas Kleidung, vor denen du dich entsetzt hättest, störten ihn gar
nicht. Du willst ihr nicht glauben! Und weißt nicht, wie du dich damit
bloßstellst, wie du gerade damit deine Unerfahrenheit zeigst! Selbst jemand,
der gar nichts von dem Verhältnis zu Klamm wüßte, müßte an ihrem Wesen
erkennen, daß es jemand geformt hat, der mehr war als du und ich und alles
Volk im Dorfe, und daß ihre Unterhaltungen über die Scherze hinausgingen,
wie sie zwischen Gästen und Kellnerinnen üblich sind und das Ziel deines
Lebens scheinen. Aber ich tue dir Unrecht. Du erkennst ja selbst sehr gut
Friedas Vorzüge, merkst ihre Beobachtungsgabe, ihre Entschlußkraft, ihren
Einfluß auf Menschen, nur deutest du freilich alles falsch, glaubst, daß sie
alles eigensüchtig nur zu ihrem Vorteil und zum Bösen verwende oder gar als
Waffe gegen dich. Nein, Pepi, selbst wenn sie solche Pfeile hätte, auf so
kleine Entfernung könnte sie sie nicht abschießen. Und eigensüchtig? Eher
könnte man sagen, daß sie unter Aufopferung dessen, was sie hatte, und
dessen, was sie erwarten durfte, uns beiden die Gelegenheit gegeben hat, uns
auf höherem Posten zu bewähren, daß wir beide sie aber enttäuscht haben und
240
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik