Page - 243 - in Das Schloss
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zu sehr aus dem Ausschank entfernt, aber es war nicht Frieda, es war die
Wirtin. Sie tat erstaunt, K. noch hier zu finden. K. entschuldigte sich damit,
daß er auf die Wirtin gewartet habe, gleichzeitig dankte er dafür, daß es ihm
erlaubt worden war, hier zu übernachten. Die Wirtin verstand nicht, warum K.
auf sie gewartet habe. K. sagte, er hatte den Eindruck gehabt, daß die Wirtin
noch mit ihm sprechen wolle, er bitte um Entschuldigung, wenn das ein
Irrtum gewesen sei, übrigens müsse er nun allerdings gehen, allzulange habe
er die Schule, wo er Diener sei, sich selbst überlassen, an allem sei die
gestrige Vorladung schuld, er habe noch zu wenig Erfahrung in diesen
Dingen, es werde gewiß nicht wieder geschehen, daß er der Frau Wirtin
solche Unannehmlichkeiten mache wie gestern. Und er verbeugte sich, um zu
gehen. Die Wirtin sah ihn an, mit einem Blick, als träume sie. Durch den
Blick wurde K. auch länger festgehalten, als er wollte. Nun lächelte sie auch
noch ein wenig, und erst durch K.s erstauntes Gesicht wurde sie
gewissermaßen geweckt; es war, als hätte sie eine Antwort auf ihr Lächeln
erwartet und erst jetzt, da sie ausblieb, erwachte sie. »Du hattest gestern,
glaube ich, die Keckheit, etwas über mein Kleid zu sagen.« K. konnte sich
nicht erinnern. »Du kannst dich nicht erinnern? Zur Keckheit gehört dann
hinterher die Feigheit.« K. entschuldigte sich mit seiner gestrigen Müdigkeit,
es sei gut möglich, daß er gestern etwas geschwätzt habe, jedenfalls könne er
sich nicht mehr erinnern. Was hätte er auch über der Frau Wirtin Kleider
haben sagen können? Daß sie so schön seien, wie er noch nie welche gesehen
habe. Zumindest habe er noch keine Wirtin in solchen Kleidern bei der Arbeit
gesehen. »Laß diese Bemerkungen!« sagte die Wirtin schnell. »Ich will von
dir kein Wort mehr über die Kleider hören. Du hast dich nicht um meine
Kleider zu kümmern. Das verbiete ich dir ein für allemal.« K. verbeugte sich
nochmals und ging zur Tür. »Was soll denn das heißen«, rief die Wirtin hinter
ihm her, »daß du in solchen Kleidern noch keine Wirtin bei der Arbeit
gesehen hast? Was sollen solche sinnlosen Bemerkungen? Das ist doch völlig
sinnlos. Was willst du damit sagen?« K. wandte sich um und bat die Wirtin,
sich nicht aufzuregen. Natürlich sei die Bemerkung sinnlos. Er verstehe doch
auch gar nichts von Kleidern. In seiner Lage erscheine ihm schon jedes
ungeflickte und reine Kleid kostbar. Er sei nur erstaunt gewesen, die Frau
Wirtin dort, im Gang, in der Nacht, unter allen den kaum angezogenen
Männern in einem so schönen Abendkleid erscheinen zu sehen, nichts weiter.
»Nun also«, sagte die Wirtin, »endlich scheinst du dich doch an deine gestrige
Bemerkung zu erinnern. Und vervollständigst sie durch weiteren Unsinn. Daß
du nichts von Kleidern verstehst, ist richtig. Dann aber unterlasse auch –
darum will ich dich ernstlich gebeten haben -, darüber abzuurteilen, was
kostbare Kleider sind oder unpassende Abendkleider und dergleichen…
Überhaupt« – hierbei war es, als überliefe sie ein Kälteschauer – »sollst du dir
nichts an meinen Kleidern zu schaffen machen, hörst du?« Und als K. sich
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik