Page - 4 - in Der Bau
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dem anderen in die Fänge laufe. Ach, was könnte nicht alles geschehen!
Jedenfalls aber muß ich die Zuversicht haben, daß irgendwo vielleicht ein
leicht erreichbarer, völlig offener Ausgang ist, wo ich, um hinauszukommen,
gar nicht mehr zu arbeiten habe, so daß ich nicht etwa, während ich dort
verzweifelt grabe, sei es auch in leichter Aufschüttung, plötzlich – bewahre
mich der Himmel! – die Zähne des Verfolgers in meinen Schenkeln spüre.
Und es sind nicht nur die äußeren Feinde, die mich bedrohen. Es gibt auch
solche im Innern der Erde. Ich habe sie noch nie gesehen, aber die Sagen
erzählen von ihnen und ich glaube fest an sie. Es sind Wesen der inneren
Erde; nicht einmal die Sage kann sie beschreiben. Selbst wer ihr Opfer
geworden ist, hat sie kaum gesehen; sie kommen, man hört das Kratzen ihrer
Krallen knapp unter sich in der Erde, die ihr Element ist, und schon ist man
verloren. Hier gilt auch nicht, daß man in seinem Haus ist, vielmehr ist man in
ihrem Haus. Vor ihnen rettet mich auch jener Ausweg nicht, wie er mich
wahrscheinlich überhaupt nicht rettet, sondern verdirbt, aber eine Hoffnung
ist er und ich kann ohne ihn nicht leben. Außer diesem großen Weg verbinden
mich mit der Außenwelt noch ganz enge, ziemlich ungefährliche Wege, die
mir gut atembare Luft verschaffen. Sie sind von den Waldmäusen angelegt.
Ich habe es verstanden, sie in meinen Bau richtig einzubeziehen. Sie bieten
mir auch die Möglichkeit weitreichender Witterung und geben mir so Schutz.
Auch kommt durch sie allerlei kleines Volk zu mir, das ich verzehre, so daß
ich eine gewisse, für einen bescheidenen Lebensunterhalt ausreichende
Niederjagd haben kann, ohne überhaupt meinen Bau zu verlassen; das ist
natürlich sehr wertvoll.
Das schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist
trügerisch. Plötzlich einmal kann sie unterbrochen werden und alles ist zu
Ende. Vorläufig aber ist sie noch da. Stundenlang kann ich durch meine
Gänge schleichen und höre nichts als manchmal das Rascheln irgendeines
Kleintieres, das ich dann gleich auch zwischen meinen Zähnen zur Ruhe
bringe, oder das Rieseln der Erde, das mir die Notwendigkeit irgendeiner
Ausbesserung anzeigt; sonst ist es still. Die Waldluft weht herein, es ist
gleichzeitig warm und kühl. Manchmal strecke ich mich aus und drehe mich
in dem Gang rundum vor Behagen. Schön ist es für das nahende Alter, einen
solchen Bau zu haben, sich unter Dach gebracht zu haben, wenn der Herbst
beginnt. Alle hundert Meter habe ich die Gänge zu kleinen runden Plätzen
erweitert, dort kann ich mich bequem zusammenrollen, mich an mir wärmen
und ruhen. Dort schlafe ich den süßen Schlaf des Friedens, des beruhigten
Verlangens, des erreichten Zieles des Hausbesitzes. Ich weiß nicht, ob es eine
Gewohnheit aus alten Zeiten ist oder ob doch die Gefahren auch dieses
Hauses stark genug sind, mich zu wecken: regelmäßig von Zeit zu Zeit
schrecke ich auf aus tiefem Schlaf und lausche, lausche in die Stille, die hier
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Der Bau
- Title
- Der Bau
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1931
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 29
- Categories
- Weiteres Belletristik