Page - 15 - in Der Bau
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letzten Endes ruhig von meinem Feind auch die tödliche Verwundung
annehmen kann, denn mein Blut versickert hier in meinem Boden und geht
nicht verloren. Und was anderes als dies ist denn auch der Sinn der schönen
Stunden, die ich, halb friedlich schlafend, halb fröhlich wachend, in den
Gängen zu verbringen pflege, in diesen Gängen, die ganz genau für mich
berechnet sind, für wohliges Strecken, kindliches Sichwälzen, träumerisches
Daliegen, seliges Entschlafen. Und die kleinen Plätze, jeder mir wohlbekannt,
jeder trotz völliger Gleichheit von mir mit geschlossenen Augen schon nach
dem Schwung der Wände deutlich unterschieden, sie umfangen mich friedlich
und warm, wie kein Nest seinen Vogel umfängt. Und alles, alles still und leer.
Wenn es aber so ist, warum zögere ich dann, warum fürchte ich den
Eindringling mehr als die Möglichkeit, vielleicht niemals meinen Bau
wiederzusehen. Nun, dieses letztere ist glücklicherweise eine Unmöglichkeit,
es wäre gar nicht nötig, mir durch Überlegungen erst klarzumachen, was mir
der Bau bedeutet; ich und der Bau gehören so zusammen, daß ich ruhig, ruhig
bei aller meiner Angst, mich hier niederlassen könnte, gar nicht versuchen
müßte mich zu überwinden, auch den Eingang entgegen allen Bedenken zu
öffnen, es würde durchaus genügen, wenn ich untätig wartete, denn nichts
kann uns auf die Dauer trennen und irgendwie komme ich schließlich ganz
gewiß hinab. Aber freilich, wieviel Zeit kann bis dahin vergehen und wieviel
kann in dieser Zeit sich ereignen, hier oben sowohl wie dort unten? Und es
liegt doch nur an mir, diesen Zeitraum zu verkürzen und das Notwendige
gleich zu tun.
Und nun, schon denkunfähig vor Müdigkeit, mit hängendem Kopf,
unsicheren Beinen, halb schlafend, mehr tastend als gehend, nähere ich mich
dem Eingang, hebe langsam das Moos, steige langsam hinab, lasse aus
Zerstreutheit den Eingang überflüssig lange unbedeckt, erinnere mich dann an
das Versäumte, steige wieder hinauf, um es nachzuholen, aber warum denn
hinaufsteigen? Nur die Moosdecke soll ich zuziehen, gut, so steige ich wieder
hinunter und nun endlich ziehe ich die Moosdecke zu. Nur in diesem Zustand,
ausschließlich in diesem Zustand, kann ich diese Sache ausführen. – Dann
also liege ich unter dem Moos, oben auf der eingebrachten Beute, umflossen
von Blut und Fleischsäften, und könnte den ersehnten Schlaf zu schlafen
beginnen. Nichts stört mich, niemand ist mir gefolgt, über dem Moos scheint
es, wenigstens bis jetzt, ruhig zu sein, und selbst wenn es nicht ruhig wäre,
ich glaube, ich könnte mich jetzt nicht mit Beobachtungen aufhalten; ich habe
den Ort gewechselt, aus der Oberwelt bin ich in meinen Bau gekommen und
ich fühle die Wirkung dessen sofort. Es ist eine neue Welt, die neue Kräfte
gibt, und was oben Müdigkeit ist, gilt hier nicht als solche. Ich bin von einer
Reise zurückgekehrt, besinnungslos müde von den Strapazen, aber das
Wiedersehen der alten Wohnung, die Einrichtungsarbeit, die mich erwartet,
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Der Bau
- Title
- Der Bau
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1931
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 29
- Categories
- Weiteres Belletristik