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EINLEITUNG 13
(1596) des Eislebener Domküsters Georg Pondo ist Brabantisch und Schwäbisch zu hö-
ren. Noch früher sind verschiedene alemannische Dialekte in der Schweizerdeutschen
Dramatik zu nden, ohne dass allerdings Werke wie die Propagandaschrift Badenfahrt
guterGesellen1521zunächstzueinereigenständigenTraditionmundartlicherDichtung
geführthätten.5
Die Liste dramatischer Arbeiten mit Literarisierungen regiolektaler Varietäten ließe
sich für die folgenden Jahre noch mühelos erweitern, ehe uns auch im bairisch-ös-
terreichischen Sprachraum mit dem 1618 in Regensburg inszenierten, wohl aus Wien
stammenden Fastnachtspiel Von dem Hänsl Frischen knecht bairische Sprachfärbung
zur kontrastierenden Charakterisierung der dramatis personae erstmals im größeren
Umfang begegnet. In der Handlung von einem naiven Dörfler, der sich versehent-
lich zu Kriegsdiensten anwerben lässt, dominiert bereits der Bauernspott die in der
süddeutschenLiteraturgebräuchlichsteFunktionalisierungdialektalerMündlichkeit im
17.Jahrhundert. IndenobenangeführtenPendantsnord-undmitteldeutscherProveni-
enzwardieKomisierungautochthonerSprachformkeineswegsdieRegel. ImGegenteil:
In diesen Anfängen literarischerMundartverwendung ist die rusticus-Komik häu g ein
lediglich sekundärer Wirkeffekt. Wird in Dramen Dialekt gesprochen, dient dies vor-
rangig dazu, durch den Abgleich von Ausdruck und Lebensraum bzw. sozialer Stellung
eine realistische, zumeist ländliche Szenerie zu etablieren. Die mundartliche Rede si-
gnalisiert dabei die Authentizität des im Fiktionalen Vorgeführten und wurde schon
früh zur Darstellung des gesellschaftlichen Nahbereichs und zur Individualisierung der
Charaktere genützt. Dass der Bauernspott als literarisches Muster sich gerade im mehr-
heitlich katholisch regierten Süden im 17. Jahrhundert so stark ausprägte, ist vielleicht
im Zusammenhang mit dem von den Jesuiten getragenen gegenreformatorischen
VorgehengegendiezunächstüberwiegendevangelischeLandbevölkerungzusehen.
Aber auch das Regensburger Fastnachtspiel` bleibt vorerst ein literaturgeschichtli-
cher Solitär. Denn auch wenn von weiteren Intermedien mit eindeutig mundartlicher
Figurenrede imOrdenstheaterausgegangenwerdenkann,überliefert sindsieunsnicht.
InanderenTeilendesdeutschenSprachraumsdagegenentstandenindiesenJahrzehnten
so wichtige Dramen mit Dialektsequenzen wie Johann Rists und Ernst Stapels Irenaro-
machia (1630), der Friedens-Sieg (1642/48) des bedeutenden Sprachtheoretikers Justus
Georg Schottelius und vor allem Andreas Gryphius' Die Geliebte Dornrose (1660). Erst
ab Mitte der 1660er Jahre etabliert sich mundartliche Rede als wichtiges ästhetisches
Mittelzumal inVerbindungmitRollenspielundMusikauchinBayernundÖsterreich.6
In den Druck fanden die dialektalen Werke zunächst freilich selten. Als am Mündli-
chen orientierte Kunstsprache ist der literarisierte Dialekt vor 1800 über weite Strecken
noch einer oralen Überlieferungs- und Aufführungstradition verp ichtet, einer Kultur
5 Vgl. Hans Trümpy: Schweizerdeutsche Sprache und Literatur im 17. und 18. Jahrhundert (auf Grund der
gedruckten Quellen). Basel: Krebs 1955. (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde 36)
S.160ff.
6 Vgl. Christian Neuhuber: y glab es trambt mie. Dialektale Rede in Wiener Stücken des Wander-, Ordens-
und Hoftheaters 1665/66. In: Christian Neuhuber/Elisabeth Zehetner (Hg.): Bairisch-österreichischer
Dialekt inLiteraturundMusik1650 1900.Tagungsband.Graz:Leykam/Universitätsverl.2015,S.61 116.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen