Page - 15 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
Image of the Page - 15 -
Text of the Page - 15 -
EINLEITUNG 15
taktische Struktur eine dialektale Umsetzung nahelegt.10 Aber nicht nur die graphische
Markierung,auchdieDifferenzierungderVarietätvoneiner(sicherstherausbildenden)
Schreibsprache oder die Abgrenzung von benachbarten Varietäten wie dem Schwä-
bischen oder Fränkischen erschweren die Korpusbildung. Weitere Herausforderungen
sind etwa die Frage nach dem Anteil der literarisierten Mundart am Werkganzen, der
vom sprachlichen Hintergrundphänomen über den punktuellen Einsatz bis hin zum
durchgehenddialektalenWerkvariierenkann,11dieFunktionsbestimmungbeisprachli-
cherbzw.graphischerNormabweichungbzw.dieArti zialitätdesliterarisiertenDialekts
als bewusste Kunstsprache, die Identi zierung produktions- und rezeptionsästhetischer
KonstituentenzwischendenPolen‚ Bildungselitenkunst`und‚
Volkskunst`oderauchdas
HerausarbeitenthematischerundmotivischerTraditionen.
Diese Vielseitigkeit und Komplexität dialektaler Kunst macht sie notwendigerweise
zum Untersuchungsgegenstand mehrerer Disziplinen. Probleme der Auswahl, Veror-
tung und Beurteilung dialektaler Texte sind ohne eine dialektologisch fundierte Dif-
ferenzierung nicht zu lösen und die Identi zierung, Kategorisierung und systematische
Beschreibungvonschriftlichcodierter ‚ Nähesprachlichkeit`wirdohneeinelinguistische
Analyse kaum möglich sein.12 Noch offensichtlicher wird die Dringlichkeit eines inter-
disziplinärenAustauschsanderfürdialektaleKunstcharakteristischenTendenzzurMe-
dienĂĽberschreitung und Ausdrucksformenkombination. Wurden dem Zusammenspiel
von Mundart, Musik und Mimus bereits einige erhellende Studien gewidmet (zumal,
wenn Exponenten einer allgemein anerkannten Elitenkultur involviert sind)13, fanden
dagegen die vielfältigen Arbeiten mit mehr oder weniger starker Dialektverwendung
10 Inwiefern solche an schreibsprachlichen Usancen angepasste Texte noch zur Dialektkunst gezählt wer-
den können, ist noch lange nicht ausdiskutiert. Für einen sehr weit gefassten Begriff von Dialektliteratur
vgl. den diasystemischen Ansatz von Martin Schröder: Ist eine strukturelle Theorie der Dialektliteratur
möglich? In: Peter Wagener (Hg.): Sprachformen. Deutsch und Niederdeutsch in europäischen Bezügen.
Festschrift fürDieterStellmacher.Stuttgart:Steiner1999,S.281– 288.
11 ZurDifferenzierungundTerminologievgl.WalterSchenker:DialektundLiteratur.In:Zeitschrift fĂĽrdeut-
schePhilologie96(1977),SonderheftSprache,S.34– 48,hierS.44.
12 Zu der hier grundgelegten Unterscheidung zwischen dem Medium (der entweder phonischen oder gra-
phischen Codierung) und der (mehr oder weniger nähe- oder distanzsprachlichen) Konzeption einer
sprachlichen Äußerung vgl. Peter Koch/Wulf Oesterreicher: Sprache der Nähe – Sprache der Distanz.
MĂĽndlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Roma-
nistisches Jahrbuch 36 (1985), S.15– 33 bzw. Wulf Oesterreicher: Verschriftung und Verschriftlichung im
Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit. In: Ursula Schaefer (Hg.): Schriftlichkeit im frĂĽhen
Mittelalter. Tübingen: Narr 1993, S.267– 292. – Für eine kritische Revision der dort entwickelten Per-
spektivenundAnalysekategorienvgl.MathildeHennig:GrammatikdergesprochenenSprache inTheorie
und Praxis. Kassel: kassel university press 2006 sowie Mathilde Hennig: Thesen zur Erforschung histori-
scher Nähesprachlichkeit. In: Maria Balaskó/Petra Szatmári (Hg.): Sprach- und literaturwissenschaftliche
Brückenschläge. Vorträge der 13. Jahrestagung der GESUS in Szombathely, 12.– 14. Mai 2004. München:
Lincom2007,S.13– 26.
13 Vgl. etwa die AusfĂĽhrungen zu Mozarts dialektalen Liedarbeiten (Wolfgang Amadeus Mozart: Neue Aus-
gabe sämtlicher Werke. Serie III: Lieder, mehrstimmige Gesänge, Kanons. Werkgruppe 9: Mehrstimmige
Gesänge.VorgelegtvonC.-G.StellanMörner.Kassel [u.a.]:Bärenreiter1971)oderzudenSingspielenvon
Eberlin und Weiser (Ingo Reiffenstein: Sprachvariation auf dem Salzburger Hoftheater. Die DialektstĂĽcke
vonIgnazAntonWeiser(1749/1750). In:HubertBergmann[u.a.](Hg.):FokusDialekt.Analysieren– Do-
kumentieren – Kommunizieren. Festschrift für Ingeborg Geyer zum 60. Geburtstag. Hildesheim/Zürich/
NewYork:Olms2010,S.329– 352).
back to the
book Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen