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LIEDER UND SPIELE DES WEIHNACHTSKREISES 35
setzten ihren Ehrgeiz daran, ihrem Wirkungsort eine eigene oder zumindest lokal an-
gepassteSpielartzubieten.AuchzahlreicheMeisterderTonkunst leistetennachweislich
ihren Beitrag zu dem Genre, etwa Georg Donberger (Gloria in excelsis), Johann Georg
Zechner (Gehts, Buema, gehts frey gschwind), Franz Sparry (Solt i woanä, odä lachä),
Franz Joseph Aumann (Liabe meine Hirten, laßt ey sag'n) oder die Kapellmeister am
Hof der Esterházy Wenzel Zivilhofer, Gregor Joseph Werner (Wie gehts nä in dä Weld
hiez zue) oder Joseph Haydn (Hörst, Nachbar, han, sag ma, was heunt für a Nacht). Be-
liebt war das Hirtenlied zumal als Offertoriumsgesang während der Weihnachtsmette.
JohannMichaelBinder,SakristanausMaria-Taferl,beschreibt inseinemBericht fürdie
Sonnleithner-Sammlung 1819 den typischen Ablauf mit Glockensignal, Nachtwächter-
lied, Bass-Sologesang und abschließendem Hirtenchor, wie er ihn in seiner Kindheit
erlebthatte:
Wenn in der Mette das nach dem Credo folgende Dominus vobiscum von dem Chore respon-
diertwar, sopräludiertederOrganist,undwennderPriesterdenKelchabdeckte, sohörteerauf.
Dann schlug ein dazu bestimmter Mann auf dem Chore hinter der Orgel auf eine Glocke, oder
inderenErmangelungaufeinemStrohmessermiteinemhölzernenHammer12,undderSänger
nggleichnachdemletztenSchlagean.
[hier folgt:AllimeiniHerrnund laßtsengsagn]
Darauf wurde gleich mit der Musik, wenn eine vorhanden war, im anderen Falle aber mit der
OrgelalleindasVorspieldesKrippelgesangesgespielet,undwenndiesgeendigtwar,dasdazuge-
hörige Lied von dem Sänger mit möglichstem Kunst- und Kraftaufwand hervorgebrüllt. Solcher
Krippel-oderWeihnachtgesängegabeseineMenge.Hier ist eineProbedavon.
[hier folgt:HeBartlundHansl]
Sowie nun dieses Lied gesungen und von der Instrumentalbegleitung oder von der Orgel allein
das Nachspiel geendigt war, so wurde gleich der Hirten-Chor angestimmt. Diese Hirten-Chöre
waren gleichsam der Schluss der Comödie, und meistens von solcher Art, wie hier eine Probe
angeführtwird:
[hier folgt:Auf, singet, ihrHirten]26
Tatsächlich sind aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Beispiele für
diese Singtradition überliefert, die sich sogar noch halten konnte, als mit dem von Kai-
serin Maria Theresia verordneten of ziellen Liedgut des Katholischen Gesangbuchs`
(um1774)einGroßteilderzuvorvolkstümlichenGesängeausdenKirchenverschwand.
Die burlesken Gesänge waren nicht zuletzt deswegen so sehr nach dem Geschmacke
des Volkes 27, da sie ihr äußerst farbenreiches Bildprogramm unmittelbar der alpen-
ländischen bäuerlichen Lebenswelt entnahmen und damit das religiöse Ereignis
einge-
meindeten`.
BesondersklartrittdasUmfeldderZielgruppeindenGeschenkenderHirtenzutage,
in denen sich die Lebensumstände der ruralen Schicht spiegeln. Landwirtschaftliche
Produkte sind die nächstliegenden Gaben der selbst beinah mittellosen Hirten: Nah-
rungsmittel wie Mehl und Milch, Butter und Käse, Eier, Schmalz, Brot, Salz, Gerste und
26 Zitiert nach Karl M. Klier (Hg.): Schatz österreichischer Weihnachtslieder. Aus den ältesten Quellen mit
Weisen.Bd.1:WeihnachtsliederundHirtenspieleausNiederösterreich.KlosterneuburgbeiWien:Augus-
tinus-Druckerei [1936 40]. (ThesaurusAustriacus)S.45 47.
27 Ebda,S.47.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen