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82 GLAUBE UND ABERGLAUBE
Gottlieb Lindemayr (1741 1799) auf den streitbaren Traunkirchener Pfarrer Mathias
Stiebinger (1724 1802) gemünzt war, der sich im Kammergut großer Beliebtheit er-
freute, doch bei den Obrigkeiten wegen seiner Grobheiten und Leidenschaft für das
illegaleFischenimschlechtenLicht stand:
1
WashabtshaltvonängwissenHerrn
Nöt füräGschraiundLöbm?
Alswannsseinsgleichänahundfern
Nöt thätaufErdengöbm?
Ösißschonwahr,er istäMann,
Derainoftuntähaltenkann;
Allain,wasInöt lob,
Ißdas: däMannißz'grob. 2
Zumböstengehts iehmdortvonMäl,
WannsKöpfelwarämwird;
Dadaurtäszwaräguetiwäl,
Ä jödäwirdschimp rt;
DaschontägakainMenschennöt,
Was iehmisMällkimmt, ißägrödt:
VädientdenndasäLob?
Nää,derMensch ißz'grob.
3
Mämaghahodäniedäsein,
Mär ißvoniehmnöt frei.
Ösdunktmischier, äbildt iehmein,
DaßainäGnadnosei,
WannerboseinäLeiernbleibt,
Undschimpft,undtrinktundendli speibt.
WoißdenndaäLob?
Nää,das ißmäz'grob. 4
Wasafäz'lobmis, sagIä;
ZumFischstehlnkannäguet.
Iglaubnöt,daßainrz' ndenwä,
Der iehmsdanachhi thuet.
ÄFischä ißer,das ißwahr,
I sags, er ißmitHautundHaar;
Indemgöbührt iehmsLob,
Zumgspaisseln ißäz'grob.
5
InKammäguet (I sagnägrad)
Dabethens iehnfastan;
Wer immäwasväbrochähat,
DemisäseinPatran:
SagtsOberamtnöt freundlä ja,
So ißämit seinSchimpfenda;
Inainvädientäs'Lob,
Inandern isäz'grob. 6
DahabtsmeiMainungohniScheu,
WieIvonPfarrädenk;
Ermacht inseinäNarräthei
SchoniebelguetiSchwenk;
Zumöfternabägrathensnöt,
Drumrödihsno,undhansschongrödt,
VomirhatErkainLob;
Warum?äkimmtmäz'grob.114
1,2 Löbm] Leben, (hier:) Lärm, Aufheben 2,1 Mäl] Maul 2,2 waräm] warm 2,3 wäl] Weile 2,4 schimp rt]
schimp eren(latinisierendzuschimpfen)3,1hah]hoch3,6speibt] speien:hierwohlnurbildlichgemeint für
denWutredeschwall4,8gspaisseln]Spaßtreiben,einenStreichspielen5,1Kammäguet]Kammergut:Gebiet,
das sich vom Koppental bis zum Nordende des Traunsees bei Gmunden erstreckt und als große, mehrfach
unterteilte Grundherrschaft der landesfürstlichen (habsburgischen) Finanzverwaltung (Kammer) unterstand
5,4 Patran] Patron, Fürsprecher, Schutzherr 5,5 Oberamt] Salzoberamt, Verwaltungszentrale des Salinenwe-
sens in Oberösterreich 6,4 iebel] manchmal, ab und zu Schwenk] Pl. zu Schwank: lustiger, oft auch boshafter
Streich
Doch nicht nur in direkten Charakterisierungen bot die Geistlichkeit Unterhaltungs-
wert; ein weites Betätigungsfeld war die indirekte Komisierung in der Interaktion mit
den Schäfchen der Kirchengemeinde. Maurus Lindemayrs Scherzlied Hätt nöt glaubt
daß 'sKinätäfäschildertunsetwaeineTaufevondenVorbereitungenderZeremoniebis
zurBezahlungderStolgebührausderSichteinesbäuerlich-naivenIch.DassTeilederze-
remoniellen Handlung für die Anwesenden damals unverständlich blieben, kann nicht
verwundern,wardiesedochvorwiegendinLateingehalten.NachaltemRitusempfängt
114 Peter Gottlieb Lindemayr: Lieder in oberösterreichischer Mundart. Kritische Erstausgabe. Hg. und kom-
mentiertvonChristianNeuhuber.Wien:Praesens2010,S.84 86bzw.299 302.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen