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KRITISCH-KOMISCHES ZU GLAUBENSLEHREN, -LEUTEN UND -DINGEN 83
der Priester den Täufling an der Kirchentür, lässt sich den Namen nennen und beginnt
die exorzistischen Handlungen, durch die der Täufling aus der Macht des Bösen befreit
werdensoll,mitExsuf atio(AushauchendesunsauberenGeistes)undInsuf atio(Ein-
hauchendesHl.Geistes).NachdemBekreuzigendesKindsaufStirnundBrust legtder
Pfarrer ihm die Hand auf, segnet das bereitgestellte Salz und gibt etwas davon in den
Mund des Täuflings als Symbol der Weisheit. Dann legt er das Ende der Stola auf das
Kind,berührtdessenOhrenundNasemitSpeichelundspricht
effata`(
öffnedich`),um
deutlichzumachen,dassesoffenseinsoll fürdasWortGottes.DiePatenschwörennun
stellvertretend dem Satan ab, dann salbt der Priester mit Katechumenenöl Brust und
Nacken des Täuflings. Nach den Glaubensfragen, die die Paten beantworten, gießt der
Priester gesegnetes Wasser dreimal in Kreuzform auf das Haupt des Kinds und spricht
die Taufformel. Dann salbt er betend dessen Scheitel mit Chrisam, legt ihm ein weißes
Leinen als Zeichen der wiederhergestellten Unschuld um und reicht dem Täufling eine
Kerze mit dem Auftrag, das Licht des Glaubens stets leuchten zu lassen. Etliche dieser
zeremoniellenPunktewerdeninLindemayrsLiedrechtgenaudargestellt,dochimBlick
desBauernkomisierendumgedeutet.NichtdenSymbolwert, sondernalleindenprakti-
schenNutzendesLichtspendenssiehter inderTaufkerze,nochwenigerkannersichdie
apotropäischen Handlungen der Teufelsabwehr erklären. Das Salz wird mit Schnupfta-
bak verwechselt und die Salbung als ebenso sinnlos eingeschätzt wie die vielen Gebete
und Segenssprüche. Kein Wunder, dass den bäuerlichen Sprecher die 15 Groschen für
dasunverständlicheProcedereschmerzen.
1
Hättnötglaubtdaß 'sKinätäfä
Brauchät sovielNarredey,
Z'erstenmueßdäMößnä läfä
UmäLiecht,was thuet'sdabey?
Kunten 'sKindäsowohlkennä,
Obs'äMädlodärBue,
Mein!washilftdösKörzenbrennä
BänhellichtenTagdazue. 2
Mäthät sihnötgar langb'sinnä,
DäHerrPfarrä lögtwasan,
IßkainPfaid, sändFaltend'rinnä,
Daßih'shaltnötnennäkann.
Unddäzueä langiGuerten
WirftärumäHalsganzg'schwind
Sagtbaldd'raufmitkurzenWurten:
Gfadä!wiesollhaißen 'sKind.
3
Aftenthuetä 'sKind a¯blasen,
Maintvielleichtöshat sihbrennt,
ÜbänKopfundübäd'Nasen
fahrtäKreuzweismitdäHend.
Mein,wasbraucht'sdennsovielSachä
Mögtsengso langscherndämit
Dörft'snöt sovielKreuzlmachä,
'sKindiß jakainTio nit. 4
Er thuet sichänöt langb'sinnä,
Giebt 'nKindänschnopftabäck,
Hatwas inänBüchseldrinnä,
Undgreift'shintenanbänGnäck
'sKindangschmiert, soviel ihg'sehä,
ÄfdäBrust,undhintänHals,
Unddaswäräganzgschwindgschehä,
Thätsabwischenwideralls.
5
Thätalswievielaußä lösen
AusänBuech,aftblättlt ärum,
Mein!wasbrauchtsdensovielWösen?
'sKinddöswaißäsonichsd'rum.
Kunten jagarvielauslassen,
WohldenhalbenThailungfähr,
'sKindkanns jaäsonöt fassen,
WannsschanzöchäJahraltwär. 6
Unddort stundschanäfänTischl,
Nichsalsd'Wahrhait sagenthue
Garäschöni liechtiSchüßl,
Döwäräschang'richtdazue.
UnddahabnshaltWassägossen
ÜbänSchedlgrads 'nKind;
Ißdakemmä,hatsvädrossen
Hatanghöbtzänwainägschwind.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen