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KRITISCH-KOMISCHES ZU GLAUBENSLEHREN, -LEUTEN UND -DINGEN 93
Daßdichpoztausend!Gehstgleichweg. D'HändvonderButte, sag' ich. Nun,schaunurher
da. Jezt hast mir den Schnürriem z'rissen kannst mir einen andern kauffen, Hans! sagt Gred
zu Hansen unter Lichtzeiten beim Kammerfenster. So, ist er z'rissen! So nuzt kein Schonen
nichts mehr. Sei nicht so unhabig. D' Wochen ist Porziunkula. Da geht 's Beichten und Schnür-
riemkaufengrad ineinemhin, sagtHans.
[...]
Stöfl. [...]Als ichdenheiligenAblaßeinStückeindreimalgewonnenhatte,dachte ichmir: Ist
schongnugfürheuerundmitdemwollte ichzumWirthgehen. AufnWegbegegnetmirdes
Görgels sein Mensch. Bist allein? frage ich Ja sagts. Ist dein Görgel nicht da? Nein sagts.
Magst mit mir gehen? Ja, sagts. Geh'n wir miteinander heim auch? Ja, sagts. Durchs Waldl?
sage ich und lache. Versteh dich schon, sagts und lacht auch. Wenn aber der Görgl kommt?
Wir hab'n uns zerkeit, sagts. Wir pochen. So, sag ich drauf. Thust recht. Einen solchen Görgel
kannst allemal habn. Aber, verstehst mich, vor Nacht geh ich nicht heim. Ich auch nicht,
sagts. Und durchs Waldl? sag ich wieder. Wenn ichs einmal sag, sagts. D' Hand drauf, sagt
ich. Dahast sie, sagts,unddrucktmich.Wirverstundeneinander.
Geh'n wir hinein auf einen, sagt ich. Meintwegen, sagts. Wir geh'n hinein, trinken und
machen ein paar Ringl aufm Dudlsack herum. Da kommt der Görgl. Er mich mit seinem
Menschen tanzen sehen, und mir eine Ohrfeigen stecken, daß mir das Aug hätte bis auf die
Schuhbandl heraushangen mögen, war eins. Wo komst du her, Görgl? sagt ich drauf. Schnur-
grad vom Ablaß, sagt er. So, sag ich drauf, bringt man den Ablaß so ein? Ich wollte ihm
nämlich eine gute Lehr gebn, und nicht so grob drein plumpsen, wie er, sondern die heilige
Zeit ehren. So sagt er wieder, bringt man den Ablaß bei Görgels seinem Menschen ein? Da
bin ich aufgangen, weil er den heil. Ablaß und sein Mensch unter ein Hütl gebracht hat, und
weil ich indessen meinen [V]otzring gerichtet habe, habe ich ihm, den heiligen Ablaß zu de-
fendiren, eine hinaufgegeben, daß er wie ein Mehlsack vor mir hing'fahlen ist. Ich lache, aber
seine Kammeraden nicht faul, ziehen über mich ein, und schlagen mich, daß der Bader und
der Pfarrer 6Wochen zu mir gegangen seynd, und noch emp nde ichs, wenn unstilles Wetter
ist. Wenns mich die Schwengeln nur grad gar erschlagen hätten. Ich wäre als ein Martirer
von Mund auf in Himmel g'fahren; denn habe ich den Ablaß nicht gewonnen, so hat ihn Nie-
mand gewonnen. Aber g'segne es ihm Gott dem Görgl. Er hat nicht dran gedacht, daß heuer
wieder Porziunkula wird. Ihm zu Liebe gehe ich hin, und da soll er den Ablaß gewinnen. Ich
und meine Kameraden verstehen aneinander. Wir treffen ihn schon an in der Kreppen. Da
soll er Porziunkula kriegen, daß er's so lange merkt, als ich seine. Ich würde ihm ja an seinem
Menschnichtsherabgetanzthaben,demEsel.129
unhabig] ungehalten, beleidigt Porziunkula] volkstümliche Bezeichnung der Wallfahrtskapelle Santa Maria
degli Angeli, für deren gläubige Besucher Papst Honorius III. einen vollkommenen Ablass gewährte; später
aufalleFranziskanerkirchenausgeweiteteinStückeindreimal]ungefährdreimalMensch]Mädchenzerkeit]
überworfen, zerstritten pochen] zanken, streiten Ringl] Tanz zur Musik aufgangen] wütend geworden Votz-
ring]Schlagring Kreppen]Hohlweg
BucherssatirischerBlickaufdieTrivialitätvolksfrömmigerVorstellungensollteillustrie-
ren,wieobsoletvieleAspektedesreligiösenBrauchtumsbereitswaren,dadiespirituelle
Dimension völlig verwässert war, die ökonomisch-unterhaltende dagegen Überhand
genommen hatte. Was von der katholischen Orthodoxie noch immer als Ausdruck ei-
nes gefühlsbetonten, kindlich-vertrauensvollen Glaubens verteidigt wurde, dekuvrierte
der katholische Aufklärer als sinnentleerte Gesten einer Pseudofrömmigkeit mit fata-
lem Hang zu Aberglauben und Missbrauch. In protestantischen intellektuellen Kreisen
129 [Anton von Bucher]: Seraphische Jagdlust, das ist, vollständiges Porziunkulabüchlein von P. Martin Co-
chem,Kapuzinerordens.MitErlaubnisderObern.München,bei Joh.Bapt.Strobl.1784,S.63,68 70.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen