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2 KRIEG UND FRIEDEN
Die Vielzahl der kriegerischen Auseinandersetzungen, die im 17. und 18. Jahrhundert
an verschiedenen Orten und in wechselnden Allianzen ausgefochten wurden, war von
einer Fülle höchst manipulativer Texte mit zumeist recht begrenzter Aktualität medial
begleitet. Unter all diesen Kriegsliedern und Bauerngesprächen, Propagandatexten und
Agitationsschriften nden sich nicht zufällig auch viele dialektale Texte, die sich das
breite Spektrum der ästhetischen und funktionalen Möglichkeiten mündlichkeitsnaher
Sprache zunutze machen. Die frühesten Belege für bewusst literarisierte bairisch-ös-
terreichische Mundart in Texten zu historischen Ereignissen und Kriegen lassen sich
in oberösterreichischen Bauernkriegsliedern der 1620er Jahre ausmachen. Unmissver-
ständlich dialektal markiert sind darin allerdings nur die Kampfrufe zu Beginn und
nicht der Liedtext selbst, auch wenn davon auszugehen ist, dass die tatsächliche Um-
setzungwesentlichnäherandenregionalenSprechgewohnheitenorientiertwar:
DRäff /dräff / ihrNachbaurenall zumuth/
vnserSachdiewirdnochwerdengut/
wagtnurdazuewerBlut/
dieStattLinzwöllenwirgewinnenfein/
aigenthumblichsoll sievnserseyn/
sobaldwirkommendrein.1
Vereinzelt nützt auch schon der österreichische Jurist und Erfolgsautor Matthias Abele
von und zu Lilienberg (1616/18 1677) Dialekt zur Charakterisierung bäuerlicher Spre-
cher. Im 36. Casus seiner Metamorphosis Telae Iudiciariae, Das ist: Seltzame Gerichts-
Händel (1655) kommt er auf die Kriegsgräuel im Dreißigjährigen Krieg zu sprechen,
unterdenenbesondersdieBauernschaftzuleidenhatte.DochauchdieBauernkannten
zuweilen keine Gnade, wenn sich Gelegenheit bot, und verschonten selbst Soldaten-
frauenund-kindernicht:
Haben nicht die Soldaten vor ihrem Untergang hören müssen / hei patzete Krott / hei Höppin!
habichdicheinmalerdappt.Wasgilts/ichwilldirjetztlausen/daßdudeßSacramentsundTeuf-
fel holens vergessen must. [...] Hat nicht mancher Laur geschrien? recht auf enck / ihr Krotten!
seyd nichts nutz / ös seyt in Mutterleib verderbt / nur fort mit enck Rabenaaß / die kleine Krot-
ten seynd schier rändiger / als die grossen Brotzen. [...] O Teuffelsgespenster / O geschwollne
Höppin!alsomußmanenckdasGifft außdröschen.2
patzeteKrott] fetteKröte Höppin]Kröte Laur]Spitzbube enck]euch ös] ihr rändiger] toller Brotzen]Kröte
1 DreyschönneweWeltlicheLieder.Das1.WeißmireinprafenRittersman/dersichvorseimFeindwehren
kan / etc. Das 2. Dräff / dräff / ihr Nachbauren all zu muth / unser Sach die wird noch werden gut / etc.
Von den Ländischen Bauren. Das 3. Ihr lieben Herrn vernemmet wie / ein seltzame History hie / etc. Wie
einBaurseinenSoldatenWiegenmuß. ImThon:WiemandasSchlauraffenlandsingt.Gedruckt indisem
Jahr, f. 2v.
2 Matthias Abele: Metamorphosis Telae Iudiciariae, Das ist: Seltzame Gerichts-Händel / Samt denen / hier-
aufgleichfalls seltzamerfolgtenGerichtsAussprüchen:Zusammengetragen/mit lustigenAnmerckungen
erläutert /auchunterschiedlichenGeschichtenvermehret /undanvielenOrtenverbessert.Nürnberg/ In
VerlegungMichaelEndters / ImJahr1655,S.183f.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen