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BEDROHUNGSBILDER DES REICHS 113
Der Bauerndialog in allerdings nicht konsequent umgesetzter dialektaler Ge-
stalt35 folgt einer standardsprachlichen Beschreibung der Kämpfe um die Stadt Mainz,
die seit Oktober 1688 in französischer Hand gewesen war und Anfang September 1689
durch die kaiserlichen Truppen zurückerobert werden konnte. Die scheinbar authenti-
sche Stimmungsillustration, die Hans und Enres geben, entpuppt sich rasch als Stim-
mungsmachegegendieFranzosen.DabeiwerdennebendenpolitischenHintergründen
vorallemAspekteangesprochen,diedieAuswirkungendesKriegesaufdieeinfacheBe-
völkerung betreffen: Mehrfach wird betont, dass die Franzosen grausam, unmenschlich
und mit gewaltiger Zerstörungswut vorgegangen seien, verwüstete Landstriche zurück-
gelassen sowie mit systematischen Brandlegungen gearbeitet hätten. Schuld an dieser
unbarmherzigen Kriegsführung seien Ludwigs Generäle Mélac und vor allem Feu-
quières, der trotz seines mickrigen Erscheinungsbilds Angst und Schrecken verbreitete.
Denn einer offenen Feldschlacht wurde in der ersten Phase des Kriegs ausgewichen;
vielmehr versuchte man den Gegner durch gezielte Verheerung und erzwungene Zah-
lungensoweitzuzermürben,dassdieBedingungendesfranzösischenKönigsakzeptiert
wurden.
Enres.
EyleibaGfatterHanso!Wassagtmeraufsneu?
SenesunraBauerndennnochnitall frey?
Dei jüngstdieFranzosn,dieschölmischenRob'n
InunnerenGräntzngefangadouhob'n?
Hans.
Jowul,GfatterEnres,wossagt Ihrvonfrey?
IchglabdaßderTeuff'l ihrBroudergoasey,
Sieweit'nundtob'nnochimmersoseier,
EashoutmitdenSchelmennoch langgwießkahHöier.
Siepriegelnundploug'nundmarterndieLeut,
UndstehlnweiSperber,undmach'nvielBeuth,
Jo, zünd'ndieHäuserundS[t]äd'lgoroh,
DenGreul ichEuchWerla!derzehl'nkahnkoh.
NaukuppelsunsBauernzusammaweisVeich,
Undschlepneshalt immer,mitobi imKröig,
Doumöisnwirschantz'nundschöißnofftgor,
Undstennazuförderst, inschröcklierGfohr.
Enres.
Eygödi,wassagt Ihr? Ichhöiersnichtgern,
Undwolt,daßsieallwouderPfefferwächstwärn!
Wosmoußsie fürahVogldennfeihernsuohn?
DeralladeiFind'nsomasterlikon?
DorthobIhahmoulavonMelacgihört,
UndanerhaßtVekier, isagnitvielwerth,
35 Der Text erweist sich als sprachlich nicht homogen: Einerseits ist die Lautrepräsentation teils nicht kon-
sistentgleichstarkmarkiert, andererseits istkeineeindeutigeZuordnungzueinemDialektgebietmöglich,
sodassdiesprachlicheGestaltunginsgesamtnichtsehrauthentischwirkt.Wagner,derfürdiewissenschaft-
liche Erstedition verantwortlich zeichnet, ordnet den Text weitgehend dem Nürnberger Dialekt zu, weist
zugleichaberauchaufoberpfälzischeZügehin(vgl. JosephMariaWagner:EinhistorischesVolksliedvom
Jahre 1689. In: Die deutschen Mundarten 7 (1877), S.243 252), zumal Nürnberg ohnehin insbesondere
imzeitgenössischenKontext alsnordbairisch-ostfränkisches Interferenzgebietzubegreifen ist.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen