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GELEGENHEITSPOESIE 435
1
LiebiFratresgrüesenckhGott!
nuseitsheintaufoämahlTodt:
nix thuetmehr inenckhiezt löb'n,
hautundKopfhabts schovägöb'n,
mey lastsgehn,äs ligtnixdran
habts inHimmeldoänlohn;
schautsheinthabtswasguettsangfangä,
seitsdäweldt feinrechtentgangä,
liebiFratresgrüesenckhGott!
nuseitsheintaufoämahlTodt. 2
owiegscheidhabtsösheintgmacht,
habtsdöganziweldtvälacht:
sikannixalsallwaill lieg'n,
hintundfor'n thuetsbetrieg'n,
wöltsöswiss'n,wasd'welt sey,
nixalsber'nheiterey;
aufdäweldtkanmirnixgfal'n,
thätsmäsnososchönabmahl'n,
owiegscheidhabtsösheintgmacht,
habtsdöganziweldtvälacht.60
1,1 Fratres] (lat.) Brüder; Konventsmitglieder ohne Priesterweihe enckh] euch 1,2 heint] heute 2,3 lieg'n]
lügen2,5 wöltsös]wollt ihr2,6 ber'nheiterey]Bärenhäuterei (Schimpfwort):Schwachsinn
Wassodüsterbeginnt, ist freilich wiebereitsdievolksnaheSprachgebungverrät zur
Erheiterung und Erbauung eines Festpublikums gedacht. Gefeiert wurde eine doppelte
ProfessunddergewählteTag,Allerheiligen1750,legtemorbideWitzeleiennahe.Gerade
für solche Grenzgänge des guten Geschmacks hatte sich im Klosterkontext die Präsen-
tations gur des singenden Bauern etabliert, der in ungeschliffener bäurischer` Sprache
auch Grobheiten sagen konnte, die freilich oft einen wahren Kern hatten. Vorgetragen
üblicherweise von einem Stiftssänger, waren die Mundartgesänge xer Bestandteil der
klösterlichen Unterhaltungskultur dieser Zeit. Es waren keine unbedeutenden Konven-
tualendesKlostersanderKrems,dieandiesemTagihreGelübdeabgelegthatten:Ulrich
Öttl wurde einer der führenden katholischen Rechtsgelehrten seiner Zeit und fungierte
als Subregens der Ritterakademie, dann als Dekan der höheren Schulen in seinem Stift;
auch als Theaterdichter trat er mehrfach hervor. Die Bühnenmusik dazu schrieb zum
Teil sein Professbruder Georg Pasterwiz, der als bedeutendster Komponist seines Klos-
ters gilt.61 Welche Konsequenzen die Verp ichtung auf die Evangelischen Räte für die
beiden Professen hat, wird in den folgenden Strophen noch einmal expliziert, indem es
die Vorzüge mit stoizistischen Argumenten und Sentenzen herausstreicht. Der Schluss
desLiedsemp ehltdieHingabeanGott,nachdemderfeierlicheSchrittohnehinbereits
mit der Tonsurierung als sichtbarem Zeichen und dem Schwur als kirchenrechtlichem
Aktvollzogenwurde.
60 Musikarchiv Stift Kremsmünster, G 44/793 (Abschrift von Georg Pasterwiz), f. 1r v. In derselben Mappe
erhaltenisteinejüngere(standardsprachliche)VariantezurProfessvonBertholdHöger,LeonhardHolzer-
mayrundRomanBöhm(1759).AuchdiedialektaleFassungerlebtezumindestzweiweitereAufführungen:
1762zuEhrenvonAntonHoll,ProkopRichter, JakobCopisiundWolfgangLeuthner;etwasspäter fürdie
Novizen Franz und Carl, jeweils mit neuen personalisierten Liedstrophen. Sparrys Autograph ndet sich
unterSign.G44/792.
61 Während seines Studiums in Salzburg hatte Pasterwiz Kompositionsunterricht bei Johann Ernst Eberlin
genommen, wirkte nach Sparrys Tod als Regenschori und vertonte etliche, auch dialektale Singspiele sei-
nes Mitbruders Beda Plank (1741 1830). Als Stiftshofmeister in Wien empfahl er Mozart seinen Schüler
Franz Xaver Süßmayr. Vgl. zu Leben und Werk der in musicis engagierten Konventualen Kellner, Musik-
geschichtedesStiftesKremsmünster.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen