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GELEGENHEITSPOESIE 441
ProfaneAnlasslieder:Defensio,Aderlass,Bärenbegräbnis
Die auffällige Dichte an Dialektdichtern in Klöstern und die traditionell besseren Mög-
lichkeitenderschriftlichenFixierungundArchivierungdieser üchtigenKunst immo-
nastischen Umfeld lassen Liedgut zu sakralen, liturgischen oder klosterinternen Anläs-
sen möglicherweise stärker ins Licht treten, als ihm anteilsmäßig zukommen würde, da
sich profane Gelegenheitslieder seltener in Quellen vor 1800 erhalten haben. Aber auch
imKlosterumfeldsindDichtungenzureinweltlichenEreignissenentstanden,wieschon
an Liedern zu Ehren illustrer Gäste wie Marie Antoinette (vgl. Kap.3) gezeigt wurde.
Auch das pädagogische Engagement der Schulorden bot zahlreiche Gelegenheiten, wie
etwadasBeispieldes folgendenPromotionsliedszeigt.Esentstandanlässlichderöffent-
lichen Dissertationsverteidigung Joseph Ferdinand Seyringers an der Kremsmünsterer
Akademie. Seyringer stammte aus einer bayrisch-österreichischen Juristendynastie, die
mit dem Stift Kremsmünster schon über Jahrzehnte hinweg durch Rechtsberatung und
Anwaltstätigkeiten verbunden war. 1733 in Linz geboren, ging Seyringer an die frisch
errichtete Ritterakademie, wo er auch Vorlesungen zur Rechtswissenschaft besuchte.
Sein Studium schloss er am 28. November 1752 mit der Verteidigung seiner (auch ge-
druckten) Abschlussarbeit De civili felicitate mit Bravour ab und wurde noch am selben
Tag in einer Abschiedsfeier geehrt. Das dabei vorgetragene Festlied, wiederum in der
VertonungFranzSparrys,gibtzuBeginnnocheinenanschaulichenBerichtvonderbe-
anspruchenden Prüfungssituation, wechselt dann jedoch rasch zu einer recht harschen
Advokatenschelte, die die Redlichkeit des Berufsstands aus humoristischem Blickwin-
kel gehörig in Zweifel zieht nicht unpikant, bedenkt man, dass der Vater des Prü ings
anwesendwar:
1
auweh!dashoästdisputiert!
aus'nJure thainsheint rauff'n,
last sikoänädoväkauff'n
bräffdefendenshastdigwirrt;
söxihabnandianbisß'n,
hamdonit'nkopffwöckgrisß'n,
selbstdeiVadägibtkoäruhe,
er sagt,haltdiwohlmeibue. 2
abäwälstbaldwöckäroäst,
mues idirä lehrnogeb'n,
dödätaugt füralldei leb'n,
ieh'nAdvocat'n laist,
sunsthatsghaisß'nall Jurist'n,
sänmeinoäch'l schlechtiChrist'n
was isofftderAdvocat,
ishaltumädumväträt.
3
freili tragtsofft thallerein,
sänd'wortausänandäzog'n,
wirddozahltän iedabog'n,
wieschautabersgwisß'ndrein.
thuestdeinbeit'l freili Spick'n,
unddeingwiss'n thutdizwick'n,
indätruch'nhast 'nhundt,
pelt zumgwiss'nalli stund.
[...] 4
nimbstdiumbvillhändlan,
kanstdä freili garvill gwingä,
abäsgwisß'nwirdnit ringä,
all'nniembtrechtdienäkan.
umbänsilbern,goldernrog'n,
wirdofftdwarheitgreilibog'n,
wilstän ied'ndienärecht,
wirstnitgar langbleib'ngrecht.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen