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304 Kaisersberg.
in dem rings von Hochgebirgen umschlossenen stillen Graben der Radmer
verbrachte Anna Werchota zumeist ihre Jugend und sammelte im innigsten
Verkehr mit dem schlichten armen Gebirgsvolke jene Eindrücke, Lieder
und Sagen, die für sie heute die unerschöpfliche Quelle echter und rechter
waldfrischer Volksdichtungen bilden. Nach dem Tode ihrer Mutter wurden
die Kinder, es waren deren acht, welche nur eine mangelhafte Erziehung
genossen hatten, in alle Winde zerstreut und es begann auch für Anna
der bittere harte Kampf ums Dasein. Durch Schicksalsfügungen nach Wien
verschlagen, fristete sie, ohne Sprach- und Musikkenntnisse, durch Unter-
richt von Kindern auf das Kümmerlichste das Dasein. Während dieser
Jahre voll Entbehrungen und Kränkungen, in welchen sie den Leidens-
kelch der Armut zur Neige leeren musste, war die künftige Volksdichterin
jedoch unerlässlich bestrebt, durch eigene Kraft sich höher auszubilden.
Mehrere dichterische Versuche in hochdeutscher Sprache brachten wenig
Erfolg, umso größer war jedoch der Freundeskreis, den ihre ersten in
der „Blauen Donau" in Wien veröffentlichten, im s t e i r i s chen Dia lec t
geschriebenen Erzählungen fanden. Nun war Werchota am rechten Boden
angelangt, wo ihre Eigenart zur vollsten Geltung kommen konnte. Und
nun flössen leicht und frisch, wie nur ein berufenes ursprüngliches Talent
schaffen kann, fesselnd erzählte Sagen, kecke Vierzeilige und sinnige Wald-
geschichten, welche uns in der schlichten Sprache des Bergvolkes, dessen
Lehen und Lieben, Leiden und Freuden vor Augen führen, aus ihrer Feder.
Bald öffneten auch die „Wiener illustrierte Zeitung" und die „Presse" ihre
Spalten den Dialectdichtungen Werchotas. Wenige Jahre nach der ersten Publi-
cation war die Zahl der Dichtungen Werchotas schon derart angewachsen,
dass sie 1890 mit einem selbständigen Werke, mit einer Auswahl charakte-
ristischer Arbeiten sich dem deutschen Leserkreise vorstellen konnte.
„Gschic l i tn aus 'n Grohn au ssa" nennt sich das von der Ver-
l a g s b u c h h a n d l u n g „Leykam" in Graz herausgegebene und reizend
ausgestattete Büchlein, welchem durch die Annahme der Widmung von Seite
der hohen Förderin der Dichtkunst, der E r z h e r z o g i n Mar ie Valer ie ,
eine seltene Auszeichnung zutheil wurde. Rasch brach sich das Büchlein
in weiten Kreisen bahn, obwohl die strenge Einhaltung des Dialectes an-
fänglich dem ungeübten Leser von Dialectdichtungen Schwierigkeiten ver-
ursacht. Ist diese Klippe aber einmal üherwunden, so erschließen sich
aber nun auch in voller echter Farbenfrische die Charakterbilder aus dem
Leben der Waldbauern, der Köhler und Holzknechte, der Sennerinnen,
Wildschützen und Jäger, wie sie im engen Graben aufwachsen und ab-
sterben, dem Leser, der dabei dem Pulsschlag einer abgeschiedenen kleinen
Menschengemeinde zu lauschen vermag, und es liegt in jeder, dieser knapp
und schlicht erzählten Geschichten, von welchen „die Schneelahn", „der
Rehbock" und „die Steinlahn" in erster Reihe genannt werden müssen,
ein eigener Reiz.
Das Büchlein hat unserer Volksdichterin eine Anstellung bei der
General - Direction der österreichischen Staatsbahnen vermittelt, welche
jedoch ihr hinreichend Muße gewährt, ihr schönes Talent weiter zu ent-
Die eherne Mark
Eine Wanderung durch das steirische Oberland, Volume 2
- Title
- Die eherne Mark
- Subtitle
- Eine Wanderung durch das steirische Oberland
- Volume
- 2
- Author
- Ferdinand Krauss
- Publisher
- Leykam
- Location
- Graz
- Date
- 1892-1897
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.1 x 20.37 cm
- Pages
- 613
- Keywords
- Steiermark, Heimatkunde
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918