Page - 32 - in Die Verwandlung
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werde. Sie räumten ihm sein Zimmer aus; nahmen ihm alles, was ihm lieb
war; den Kasten, in dem die Laubsäge und andere Werkzeuge lagen, hatten
sie schon hinausgetragen; lockerten jetzt den schon im Boden fest
eingegrabenen Schreibtisch, an dem er als Handelsakademiker, als
Bürgerschüler, ja sogar schon als Volksschüler seine Aufgaben geschrieben
hatte, – da hatte er wirklich keine Zeit mehr, die guten Absichten zu prüfen,
welche die zwei Frauen hatten, deren Existenz er übrigens fast vergessen
hatte, denn vor Erschöpfung arbeiteten sie schon stumm, und man hörte nur
das schwere Tappen ihrer Füße.
Und so brach er denn hervor – die Frauen stützten sich gerade im
Nebenzimmer an den Schreibtisch, um ein wenig zu verschnaufen – ,
wechselte viermal die Richtung des Laufes, er wußte wirklich nicht, was er
zuerst retten sollte, da sah er an der im übrigen schon leeren Wand auffallend
das Bild der in lauter Pelzwerk gekleideten Dame hängen, kroch eilends
hinauf und preßte sich an das Glas, das ihn festhielt und seinem heißen Bauch
wohltat. Dieses Bild wenigstens, das Gregor jetzt ganz verdeckte, würde nun
gewiß niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der Tür des
Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer Rückkehr zu beobachten.
Sie hatten sich nicht viel Ruhe gegönnt und kamen schon wieder; Grete
hatte den Arm um die Mutter gelegt und trug sie fast. »Also was nehmen wir
jetzt?«, sagte Grete und sah sich um. Da kreuzten sich ihre Blicke mit denen
Gregors an der Wand. Wohl nur infolge der Gegenwart der Mutter behielt sie
ihre Fassung, beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom Herumschauen
abzuhalten, und sagte, allerdings zitternd und unüberlegt: »Komm, wollen wir
nicht lieber auf einen Augenblick noch ins Wohnzimmer zurückgehen?« Die
Absicht Gretes war für Gregor klar, sie wollte die Mutter in Sicherheit
bringen und dann ihn von der Wand hinunterjagen. Nun, sie konnte es ja
immerhin versuchen! Er saß auf seinem Bild und gab es nicht her. Lieber
würde er Grete ins Gesicht springen.
Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht beunruhigt, sie trat zur
Seite, erblickte den riesigen braunen Fleck auf der geblümten Tapete, rief, ehe
ihr eigentlich zum Bewußtsein kam, daß das Gregor war, was sie sah, mit
schreiender, rauher Stimme: »Ach Gott, ach Gott!« und fiel mit
ausgebreiteten Armen, als gebe sie alles auf, über das Kanapee hin und rührte
sich nicht. »Du, Gregor!« rief die Schwester mit erhobener Faust und
eindringlichen Blicken. Es waren seit der Verwandlung die ersten Worte, die
sie unmittelbar an ihn gerichtet hatte. Sie lief ins Nebenzimmer, um
irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter aus ihrer Ohnmacht
wecken könnte; Gregor wollte auch helfen – zur Rettung des Bildes war noch
Zeit – , er klebte aber fest an dem Glas und mußte sich mit Gewalt losreißen;
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Die Verwandlung
- Title
- Die Verwandlung
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1912
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 54
- Keywords
- Erzählung, Schriftsteller, Ungeziefer, Käfer, Insekt
- Categories
- Weiteres Belletristik