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Kunden hinter dem Pulte hin und her, aber weiter reichten die Kräfte der
Familie schon nicht. Und die Wunde im RĂĽcken fing Gregor wie neu zu
schmerzen an, wenn Mutter und Schwester, nachdem sie den Vater zu Bett
gebracht hatten, nun zurĂĽckkehrten, die Arbeit liegen lieĂźen, nahe
zusammenrĂĽckten, schon Wange an Wange saĂźen; wenn jetzt die Mutter, auf
Gregors Zimmer zeigend, sagte: »Mach’ dort die Tür zu, Grete«, und wenn
nun Gregor wieder im Dunkel war, während nebenan die Frauen ihre Tränen
vermischten oder gar tränenlos den Tisch anstarrten.
Die Nächte und Tage verbrachte Gregor fast ganz ohne Schlaf. Manchmal
dachte er daran, beim nächsten Öffnen der Tür die Angelegenheiten der
Familie ganz so wie frĂĽher wieder in die Hand zu nehmen; in seinen
Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit der Chef und der Prokurist, die
Kommis und die Lehrjungen, der so begriffstĂĽtzige Hausknecht, zwei, drei
Freunde aus anderen Geschäften, ein Stubenmädchen aus einem Hotel in der
Provinz, eine liebe, flĂĽchtige Erinnerung, eine Kassiererin aus einem
Hutgeschäft, um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben hatte – sie
alle erschienen untermischt mit Fremden oder schon Vergessenen, aber statt
ihm und seiner Familie zu helfen, waren sie sämtlich unzugänglich, und er
war froh, wenn sie verschwanden.
Dann aber war er wieder gar nicht in der Laune, sich um seine Familie zu
sorgen, bloĂź Wut ĂĽber die schlechte Wartung erfĂĽllte ihn, und trotzdem er sich
nichts vorstellen konnte, worauf er Appetit gehabt hätte, machte er doch
Pläne, wie er in die Speisekammer gelangen könnte, um dort zu nehmen, was
ihm, auch wenn er keinen Hunger hatte, immerhin gebĂĽhrte. Ohne jetzt mehr
nachzudenken, womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen könnte,
schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags ins Geschäft lief,
mit dem FuĂź irgendeine beliebige Speise in Gregors Zimmer hinein, um sie
am Abend, gleichgültig dagegen, ob die Speise vielleicht nur verkostet oder –
der häufigste Fall – gänzlich unberührt war, mit einem Schwenken des Besens
hinauszukehren. Das Aufräumen des Zimmers, das sie nun immer abends
besorgte, konnte gar nicht mehr schneller getan sein. Schmutzstreifen zogen
sich die Wände entlang, hie und da lagen Knäuel von Staub und Unrat. In der
ersten Zeit stellte sich Gregor bei der Ankunft der Schwester in derartige
besonders bezeichnende Winkel, um ihr durch diese Stellung gewissermaĂźen
einen Vorwurf zu machen. Aber er hätte wohl wochenlang dort bleiben
können, ohne daß sich die Schwester gebessert hätte; sie sah ja den Schmutz
genau so wie er, aber sie hatte sich eben entschlossen, ihn zu lassen.
Dabei wachte sie mit einer an ihr ganz neuen Empfindlichkeit, die
überhaupt die ganze Familie ergriffen hatte, darüber, daß das Aufräumen von
Gregors Zimmer ihr vorbehalten blieb. Einmal hatte die Mutter Gregors
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Die Verwandlung
- Title
- Die Verwandlung
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1912
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 54
- Keywords
- Erzählung, Schriftsteller, Ungeziefer, Käfer, Insekt
- Categories
- Weiteres Belletristik