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ist klar und übersichtlich, namentlich die letztere kommt an der Uotiukirche mehr zur Geltung als an irgend einem
gothischen Kirchenbaue diesseits der Uogcleu. In der Ablehnung der vorherrschend oder unumschränkt verticalen
Tendenzen der alten dcutschgothischen ünutormen und in der dadurch erzielten ruhigeren Gesnmmtwirkuug mnnisestirt
sich glücklich der moderne Geschmack des Künstlers. Nie ftrofilirungcn erscheinen im Ganzen auf das Einfachste zurück-
geführt; bei den Maßwerken sind größtcntheils kräftige Nundstäbe mit Schrägen, an Fenster- und Thürprofilcn große
flache Hohlkehlen vorherrschend, üei der Detnillirung wurde besondere Nücksicht aus die Dimensionen des Qnuwerkes
genommen, im Stilchnrnkter aber nirgends über die multergiltigen Formen vor der Mitte des XIV. Inhrhunderts
hinausgegangen. Wie für Pfeiler und Maßiverk, sind auch für Fialen, Giebel uud Gesimse überall nur wenige und
sehr einfache Grundformen gewählt. Ein absichtlicher
Wechsel derselben ohne constructiuen Gruud und jedes
willkürliche Spiel uud Wuchcru uou bloßem üierrnth,
wie es die Späthgothik liebte, ist vermieden. I>u
gleichem Zwecke tritt auch regelmäßig dieselbe Form
eiu. Nur im Ornamente, dem letzten freien Ausblühen
derArchitektur, herrscht eine größere Freil>eit uud
daher auch mehr Wechsel; I>ier wurde nicht zu strenge
an den deutsche» Mustern festgehalten, sondern auch die
frischere lebendigere Formcugebung der französischen
Schule begünstigt. Für die feine, liebevolle Durchbildung
des Details aber, wie solche insbesondere au den
Uortaten, an üilderdächcrn und in zahlreichen Einzeln-
heilen vorkommt, folgte der Hrchitckt insbesondere
den zierlichen Vorbildern Erwins von Steinbach am
Straßburgcr Münster.
D a s Strebcsiistem der Uotwkirche ist Verhältniß-
mäßig einfach disponirt. Entsprechend den Stützen im
Inneren steigen an allen constrnctiven Knotenpunkten
der Nmfnssungsmauer Strebepfeiler auf und zwar siud
die des hohen Mittelschiffes schlank und zierlich gebildet,
während die änßerc Neihe der aus den Seitenschiffen
aufsteigenden Strebepfeiler massiv ausgeführt ist. Die-
selben bilde» die Fortsetzung der, zwischen den Ehor-
und den Langhaus-Enpellcn eingezogenen Zwischen-
wände, nnd erscheinen in ihrem obersten C heile als
Doppclpfeilcr, deren Zwischenwand dnrch eine ziueithcilige fensterartige Oeffnung durchbrochen und erleichtert ist. Diese
stärkere Qilduug der äußeren Strebepfeiler ist constructiu sehr gerechtfertigt, denn das mächtige Aufragen des Mittelschiffes
über die Seitenschiffe bis in die doppelte Höhe derselben erforderte die Ueberleitnng des Schubes vom Hauptschiffgewölbe
auf die äußeren, kräftiger gebildeten Strebepfeiler vermittelst weitgespannter Gnrtbögen. Diele nothwendige Entlastung
der Vewülbcträgcr durch Hiniiberlcitung des Druckes auf die äußereu Widerlager ist im Chöre durch zehn, im i,'anghaus'e
durch acht schmucktose und darum wenig aufdringliche Strebebögen bewerkstelligt. Im Kreuzschiffe i!'t die erforderliche
Stabilität dnuu noch durch weitere Uerstärkuug der Strebepfeiler hergestellt. Die Doppelbildung der äußeren Strebepfeiler
und deren ^uslauten in zwei Spitzlanlen, zwischen deueu sich die Spreize des Strebebogens »ach dem Wasserspeier hin
noch fortsetzt, kenmeichuet genau die rudimentäre Fnnsschiffigkeit der ganzen Dauanlage, iiMerue mau mit Necht an
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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Title
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Author
- Moriz Thausing
- Publisher
- Verlag von R. v. Waldheim
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 25.0 x 33.2 cm
- Pages
- 148
- Keywords
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Categories
- Geschichte Vor 1918