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er sich einmal um die Entstehung von Kunstwerken gekümmert hat, wird nicht überrascht sein
zu hören, daß die Uotivkirche, wie sie heute dasteht und wie wir sie eben geschildert haben, keineswegs
in allen Theilen mit dem Projcctc übereinstimmt, welches der junge Meister vor nahezu einem Uiertcl-
jnhrhundcrt verfaßt hat, ja daß das fertige ünuwerk sogar in einigen sehr wesentlichen Dingen von
seinem ersten Plane abweicht. Der wichtigste Unterschied ist der, daß das erste Gnuproject viel mehr vom
Charakter des Ccntralbnncs an sich hatte, als das jetzt ausgeführte Mrk . Jenem zufolge hätte sich über
den vier mächtigen Pfeilern der Uierung ein großer Kuppclthurm erhoben, der das Langhaus und das
Guerschiff dominirt und demselben eine gewisse Selbständigkeit neben den Macndcthnrmeu gegeben
hätte. Dieser centrnlcn Tendenz entsprechend hätte das Laughaus von der Eingangshalle zwischen und
unter deu Thürmen bis zur Uicrung blos vier ^oche gezählt, während es jetzt deren fünf hat. Anderes
ist minder wichtig, so das Fehlen der beiden Einbauten am Chöre, der Sacriltei einerseits und der
Vorhalle zur Emporgnleric anderseits. EZ befanden sich dort blos zwei gleiche, znr letzteren führende
Trcppenthürmchcn. Ucm einem dreischiffigen Ouerhnufe konnte nach dem alten Projccte keine Kcdc
sein, denn die Capellcu an den Krcuzschiffnrmen, deren eine als Sacristci dienen sollte, haben dort
eine größere Selbständigkeit und eine mehr centrale Configuratiou; sie laden auch nicht bis an die
Scitentncndcn aus. Anch hatten die Kreuzschiffarme damals noch schmälere Crnvecn als das Langhaus,
während dieselben jetzt in beiden gleich sind.
Innere und äußere Griiudc waren es, welche Gerstel gleich bei Geginn der Ausführung eine
so durchgreifende Abänderung seines Planes als wünschenswerth erscheinen ließe». Die letztereu
crgnbcu l1ch zum Theile schon aus der veränderten Lage des Gnuwerkes. Gei der Preisausschrcibuug
war der Kirche noch der Platz an der Gelvedcrelinie nngewicsen, ans welchem dieselbe der Stadt ihre
Längsseitc zugewendet hätte. Dies legte den Gedanken nahc, dcm Gauc eine reichere Silhouette und
den an dem einen Ende aufsteigenden Famdcthürmcn cin gcnMcs Gegengewicht in dein mächtigen
Centralthurmc zu geben. Natürlich hätte dieser Kuppelbau auch im innern seine entsprechende
Ausbildung erhalten, und dies war der Ausgang für eine weitcrc Entfaltung lowohl des Kreuzfchiffes
als auch des Chores, wie sic heute uoch der Kirche cigcntlu'imlich ist, ohnc daß der vorwiegende
Charakter des Längsbaues dadurch beeinträchtigt wird.
^H n der gegenwärtigen Lage der Kirche entfielen allerdings die Geweggriinde, wclchc zu dcr cbc»
crwnhntcnAnordnung der Hnuptmnsl'en Aulaß gegeben hatten; vom Centralbnn konnte füglich nbgeselien
Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Title
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Author
- Moriz Thausing
- Publisher
- Verlag von R. v. Waldheim
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 25.0 x 33.2 cm
- Pages
- 148
- Keywords
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Categories
- Geschichte Vor 1918