Page - 66 - in Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
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mindesten zu schädigen, bis an den Vemölbesuß abfloß und von dort durch kleine daselbst angebrachte Nöhrchen
abgeleitet wurde.
In allen diesen praktischen Vrngcn haben sich Krnnners Rathschläge und Einrichtungen ausgezeichnet bewährt. Er verstand
es aber nicht blos, dem Werke nach allen Seiten hin nützlich zu sein, er verstand auch die ungleich seltenere Kunst, sich
demselben über einen gewissen Zeitpunkt hinaus entbehrlich zu machen. Durch strenge Disciplin und Ordnung im
Allgemeinen, durch Hebung des Ehrgeizes und der Tüchtigkeit bei jedem Einzelnen gab er der von ihm geschaffenen
Gauhütte eine solche Selbständigkeit, daß ihr Organismus auch dann noch in seinem Geiste fortarbeitete, als sie feiner
Leitung entbehrte. Schon die Uebernahme des Prager Dombaucs und noch mehr sein geschwächter Gesundheitszustand
haben Krnnnern in seinen letzten Lebensjahren dem Votivkirchenbaue immer mehr entfremdet. Er hatte jedoch seine
Aufgabe dabei bereits in den ersten Gnujahren so vollständig erfüllt, daß er, auch wenn er gesund geblieben wäre, nicht
mehr hätte wirken können, als er ohnehin gethan hat. Die Gnuhütte fand in ihren tüchtig geschulten Polieren hinreichende
Stütze und gestattete auch nach Kranners Tode dem Architekten, frei von den kleinen Sorgen der technischen Ausführung
sich vornehmlich den von Jahr zu Jahr gesteigerten Anforderungen an seine schaffende Thätigkeit zu widmen. 2o ward
Krnnner dem Gaue nur entbehrlich in dem einen besten Sinne, der gleichbedeutend ist mit Mersetzlichkeit.
Aranners Stelle ward daher nach seinem Tode nicht wieder besetzt. Aus Nerstels Antrag wurde dessen erster
Gauzeichner, Hermann Riewel, unter dem Titel eines Gausührers mit der Qesorgung der laufenden Geschäfte der
Gauhütte betraut. Hermann Ricwcl, geboren zu Leipzig am 8. December 1883, bildete sich an der Gewerbeschule in Eassel
unter Mgewitter, welcher sich bei der Concurrenz um den Votivkirchenbau auch mit Erfolg betheiligt hatte, indem er
den vierten Preis davontrug. Niewel war als Zeichner bei dessen Projecte beschäftigt, was zuerst den Wunsch in ihm rege
machte, bei der Ausführung des Gaues mitwirken zu können. Nach einem an der Leipziger Akademie zugebrachten
Jahre und nach einer Studienreise durch Deutschland und Oberitalien kam Niewel daher 1836 nach Wien, fand aber
anfangs nur bei Ludwig Uörster Verwendung, für dessen Ünuzeitung er unter anderem die drei zuerst prämiirten
Votivkirchenprojecte von Nerstel, Schmidt und Statz radirte. Im Jahre 1887 ward er von Icrstel als Zeichner in's
Atelier aufgenommen und auf dessen Vorschlag am 4. Jänner 1872 zum Gausührer der Votivkirche ernannt. Inzwischen
war er auch Adjunct an der k. k. Vcwerbezeichenschule und nach deren Umgestaltung in eine k. k. Gau- und Maschinen-
Gewerbeschule Professor an dieser Anstalt geworden. Dies hinderte ihn aber nicht, den ihm anvertrauten Arbeiten an
der Votivkirche mit derselben Hingebung und Gewissenhaftigkeit wie früher obzuliegen. Er entwickelte sich allmälig zu
einer Specialität für die innere Ausstattung und Einrichtung von Kirchen. Mehrere ober- und niedcrösterreichifche
Pfarrkirchen sind ganz nach feinen Entwürfen eingerichtet worden. Nür die Votivkirche hat Niewel eine Reihe solcher
Arbeiten, wie namentlich die Vorlagen für die meisten Eisengitter, für die Messmgluster, das Orgclgehäuse, den
Josephsaltnr und die Sacristeiemrichtung nach flüchtigen Skizzen Nerstels sehr eract ausgeführt.
Dor und neben Niewel waren in Uerstels Atelier noch folgende Künstler als Zeichner für den Gau der Votivkirchc
beschäftigt, anfänglich, noch im Jahre 16Z6, Joseph Hlnwka und August Mhmar Effenwein, dann etwa ein Jahr lang
Winfried Zimmermann und längere Zeit hindurch bis 1860 Hermann Icanzoni. Einen tüchtigen Gehilfen fand Uerstel
im Jahre 1860 an Albert Grau, der als Steinmetz in die Gauhütte eintrat. Er ist aus Enffel gebürtig und auch ein
Zögling Ungewitters von der dortigen Gauschule. Wegen seines besonderen Geschickes in der Ornamentik nahm ihn
Nerstel in's Atelier auf und beschäftigte ihn da einige Jahre lang mit Zeichnen und Modclliren für die Votivkirche.
Mit besonderem Erfolge und ausschließlich an Gegenständen der inneren Einrichtung arbeitete erst von 187Z bis 1Z77
Dominik Stadier, ein geborener Tiroler, gebildet in München und in Paris uuter Goeswillwald. Er machte die
Detailzeichnungen für die Altäre, die Kanzel, Parnmente und dergleichen. Erfreute sich so der Architekt bei seinem
umfangreichen Schaffen manigtacher Unterstützung, so gab hinwiederum der bis in die kleinsten Vollendungsarbcitcn
einheitlich geleitete Gau einer ganzen, hier nur in den wichtigsten Namen ausgeführten Anzahl von Hilfskräften Gelegenheit
zur Ausbildung ihrer Zähigkeiten.
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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Title
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Author
- Moriz Thausing
- Publisher
- Verlag von R. v. Waldheim
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 25.0 x 33.2 cm
- Pages
- 148
- Keywords
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Categories
- Geschichte Vor 1918