Page - 76 - in Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
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schließlich auch mit einigen wenigen, ganz unwesentlichen Abweichungen zur Ausführung kam. Jerftel ist dabei von den
Grundsätzen ausgegaugeu, daß diese statuarische Iierde einzelne kirchliche Glaubenssätze dem Auge des Geschauers näher
legen und durch Gruppen von bekannten Heiligenfiguren erläutern solle, daß Name und Qedeutung einer jeden Statue
aber uicht nur durch dcu Zusammenhang mit den Vebrigen erklärt, sondern auch für sich durch charakteristische Darstellung,
durch allgemein versländliche Attribute oder durch anzubringende Spruchbänder mit Legenden genügend gekennzeichnet
werden solle, daß endlich die Plastiker die ihnen vorgeschriebenen Gildwerke strenge in jenen Normen durchzuführen
hätten, welche der Stil des Gauwerkes verlangt, und daß sie jenes Maß der künstlerischen Ireiheit nicht überschreiten
dürfen, welches der Architekt ohne Geeinträchtigung der architektonischen Gesnmmtmirkung gestatten kann.
Im Jahre 186Z war nun der Gau der Kirche so weit vorgeschritten, daß an die Versetzung des Hauptgiebels an der
Hauptsncade gegangen werden konnte. Da der an diesem Theile anzubringende Nigurenschmuck sich billiger stellte, wenn
die mm Gaue benutzten Gerüste belassen und gleich auch zur Ausstellung der für diesen Theil bestimmten siebzehn Statuen
und der die Krönung Mariens darstellenden Giebelverzicrung verwendet würden, so drängte die Gauleitung das
üaucomite, wenigstens über den ebenerwähnten Theil der figürlichen Ausschmückung einen Entschluß zu fassen und
bekannt zu gebeu. Das Comite beschloß denn in seiner Sitzung vom 17. December 1864, sechs von den obigen Statuen
von bewahrten Künstlern und sechs nach den Modellen bewährter Künstler von den Arbeitern der Gauhütte ausführen
zu lassen, und nach dem Erfolge dieser Probcarbeiten die weiteren Verfügungen zu treffen. Als jedoch in einer späteren
Sitzung vom 19. December 1864 das Comite die Nothwendigkeit von Ersparnissen beim Gaue betonte, erschien
es dem Cardinal Jürsterzbischof als Vorsitzenden des Comites zweckmäßig, mit einem Erlasse vom 29. December 1664
die Ausführung des in der Sitzung vom 17. gefaßten Geschlusses vorderhand zu vertagen, obwohl er nicht verkannte,
ja ausdrücklich hervorhob, daß, wenn zur Aufstellung der Statuen am Giebel nicht das alte Verült benützt, sondern ein
neues aufgerichtet werdeu müßte, hieraus für den Gnufond beträchtliche Kosten erwachsen würden.
Da nun diese Nothwendigkeit eines neuen Gerilltes durch den Umstand, daß das alte bereits gegen fünf Jahre stand
und daher bei Preisgebung an alle Unbilden der Witterung voraussichtlich wohl nur mehr eine kurze Geftnndfähigkeit
haben konnte, immer näher rückte, war es dringend geboten, die Nrage der figuralen Ausschmückung des Hauptgicbels
aufs Neue anzuregen. Der Verwnltungsrnth erstattete darüber Gerichteam 12. März und am 28. November 136Z, in
denen die namhaften Auslagen, die bei einer weiteren Verschiebung der Ausführung dieser Statuen für den Iond
erwachsen müßten, eindringlich auseinander gesetzt wurden, und bat insbesondere, daß nicht blos die Ausführung jener
zwölf Statuen, aus welche der Geschluß vom 17. December 1864 lautete, sondern aller zum Schmucke des Giebels
bestimmter siebzehn Niguren, so wie des Neliefs der Krönung Mariens gestattet werden möge, weil, wenn sich die
Ermächtigung nicht auf alle eben gedachten Merke ausdehnte, die Schwierigkeit und die Gefahr der vermehrten Kosten
ganz die gleiche bliebe, indem dann die so sehr und mit Recht gescheute Auslage für ein ueucs Gerüste zu dem üchufe
doch gemacht werden müßte, um die unausgeführt verbliebenen fünf Statuen und das Relief der Krönung Mariens auf
den für sie bestimmten Plätzen aufzustellen.
Diese Gerichte an das Gnucomite erfuhren nur eine vorläufige und theilweise Erledigung durch das Schreiben Seiner
Eminenz des Mürsterzbischoses Cardinal Nnufcher vom 26. Mai 1866, in welchem nufgetrngeu wurde, von den Nr
die Vorderseite der Votivkirche bestimmten Statuen sechs nach den Modellen bewährter Künstler von den Arbeitern der
Gauhütte ausführen zu lassen, und gleichzeitig mitgetheilt wurde, daß für den Ansang die Standbilder der Heiligen
Stephnnus, Norinn, Georg, Heinrich, Agnes und Cäcilia gewählt worden feien. Die Ausführung diefer Modelle ward
folgenden Künstlern anvertraut: Professor Ünucr und den Gildhauern Lewu,, Neßler, Dietrich und Erlcr. Der Erfolg diefer
Probearbeit sollte für die weiteren Verfügungen eine feste Grundlage bieten. Der Gang dieser Angelegenheit diene als
Geispiel ssir die Art, wie solche rein künstlerische Nragcn von den höheren Instanzen der Gnuleitung behandelt wurden,
seitdem der hohe Stifter Erzherzog Verdinnnd Mar nicht mehr da war, um ein entscheidendes Mort in die endlos
schwankende Wagschale zu werfen.
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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Title
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Author
- Moriz Thausing
- Publisher
- Verlag von R. v. Waldheim
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 25.0 x 33.2 cm
- Pages
- 148
- Keywords
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Categories
- Geschichte Vor 1918