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bindung von Selbstbezüglichkeit – die kulturell immer in hohemMaß
gegeben ist–,KomplexitätundVeränderungsdynamikeigentlich immer
nichtlineare Entwicklungen hervorbringt. Die gängigen, oft nicht re-
flektierten Linearisierungenmachen aus der Zukunfts- eine Trendfor-
schung, die sich für alles zuständig hält undmunter bisweilen abwegige
undmeistvonallemKontext isoliertePrognosenmitRatschlägenfürdie
Gegenwart vermischt (Schmid 2016).
Die viel zitierte, geradezu zurRedewendung erstarrteBeobachtung
desPaloAlto-ZukunftsforschersRoyAmara: „Wetend tooverestimate
theeffectof a technology in the short runandunderestimate theeffect in
the longrun“(Coates, Jarratt1989,S.53undS.66) stimmt inBezugauf
viele technologischeEntwicklungen, etwa dieAkzeptanz desGPS-Sys-
tems fürmilitärischeZwecke.Das liegt auchdaran, dass alsBelegemeist
Beispiele ausgewählt werden, die sich bereits durchgesetzt haben. Zu-
mindest aberwäre dieseRegel zu ergänzenmit demHinweis, dassman
dennochnicht sagen kann,wie sich eineTechnologie langfristig durch-
setzt (Brooks 2017), und schon gar nicht, was dabei mit den älteren
Technologien geschieht, die selten einfach ersetzt werden:Wir über-
schätzen die kurzfristigen Folgen von Technologien und die Bere-
chenbarkeit der langfristigen.Niemanden hätte in den sechziger Jahren
die Behauptung verwundert, in fünfzig Jahren werde aller Kleidung
synthetisch hergestellt – und dieNahrungweitgehend auch.Niemand
hätte damals aber gedacht, wie synthetische Funktionskleidung heute
aussieht, und niemand hätte sich die heutigen Nahrungsdiskussionen
vorstellen können, geschweige denn die veganeWelle, die wir gerade
erleben.
Der gegenwärtige Hype der Digitalisierung hat, auch wenn er auf
realenEntwicklungenberuht,bis indiePolitikhineindasSprechenüber
die Digitalisierung grundsätzlich verändert, wobei oft versucht wird,
Kontingenz durch Handlungsvorschläge auszublenden. Politik und
kommerzielleTechnologie treffen sichdabei in derKurzfristigkeit ihrer
Interessen; Bildungsinstitutionen müssen bekanntlich anders denken.
Doch genau in der Phase, in der durch disruptive Elemente die Kon-
tingenz des Prozesses enorm ansteigt, sinkt die Bereitschaft, sie ins
Denkeneinzubeziehen–weilmansuggestivdavonausgeht,manwisseja,
was dieZeit verlange.
Wie sollen wir also von einer Entwicklung sprechen, über deren
weiterenVerlaufwir letztlichvielwenigerwissen,alswirwissenmüssten,
um handlungsfähig zu sein, die aber gerade jetzt einen besonderen
Handlungs- und deswegen auch Redebedarf hervorbringt? Wo De-
ThomasGrob50
Was macht die Digitalisierung mit den Hochschulen?
Einwürfe und Provokationen
- Title
- Was macht die Digitalisierung mit den Hochschulen?
- Subtitle
- Einwürfe und Provokationen
- Authors
- Marko Demantowsky
- Gerhard Lauer
- Robin Schmidt
- Editor
- Bert te Wildt
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Oldenburg
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-067326-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 206
- Keywords
- Bildung, Schule, Technik, Universität, Digitalisierung
- Category
- Technik