Page - 32 - in Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
Image of the Page - 32 -
Text of the Page - 32 -
32 | Dinge – Nutzer – Netze
dessen Sohn Ptolemaios II. weiter ausgebaut (vgl. ebd.) sollte sich das Museion von
Alexandria für anderthalb Jahrhunderte zu einem der bedeutendsten intellektuellen
Gravitationszentren der antiken Welt entwickeln. Eratosthenes, der die Welt anhand
von Schattenwürfen vermaß; Herophilus von Chalkedon, der erste Beschreibungen
des menschlichen Blutkreislaufs verfasste; Euklid, der Vater der Geometrie;
Kallimachos, dem die Philologie ihr Dasein verdankt − wie die großen Museen un-
serer Gegenwart gründete auch das ptolemäische seinen Ruhm auf eine Sammlung.
Anders als diese jedoch sammelte es nicht Dinge, sondern Menschen und ihre Ideen,
die es räumlich zusammenführte und in Dialog und Austausch treten ließ. Es lebte
von dem Gelehrtenkolleg, das an ihm wirkte, und der berühmten Bibliothek, von
welcher die Arbeit dieses Kollegs ebenso abhängig war, wie sie sich in ihr verewigte
(vgl. Pomian 2007: 23 u. Glock 2006). Dabei blieb das religiöse Element stets nicht
nur ein sinnstiftender, sondern auch ein institutioneller Faktor: Die Leitung des Mu-
seions nämlich oblag Priestern, die per königlichem Dekret eingesetzt wurden (vgl.
Glock 2006). Krzysztof Pomian sieht gerade in diesem Moment des Kultischen und
der Einrichtung des Tempels das Bindeglied zwischen Museion und Museum: Wo
den Göttern gehuldigt wurde, da fielen auch Opfergaben an, die aufbewahrt und prä-
sentiert werden wollten.
Ein einmal geweihter Gegenstand, so fährt Pomian fort, sei im Grunde der
menschlichen Sphäre entrückt. Was man den Göttern zum Geschenk gemacht hat,
das kann man sich niemals wieder aneignen, weil es seine rein dingliche Wesensart
verloren hat und zum Zeichen und Kristallisationspunkt des Göttlichen geworden ist.
Es wieder zu entwenden oder auch nur achtlos zu berühren würde bedeuten, sich
eines Verbrechens gegen die Götter selbst schuldig zu machen. Opfergaben sind dem
Kreislauf menschlichen Wirtschaftens und Gebrauchs nicht länger zugehörig und
auch nicht mehr rückführbar: Wurden in griechischen Tempeln Kultobjekte beschä-
digt, so begrub man sie entweder, um sie vor weiterer Profanierung zu schützen, oder
man schmolz sie, sofern es sich um Metallobjekte handelte, zur Herstellung neuer
Kultgegenstände ein (vgl. Pomian 2007: 23f.).
Nun konstituiert eine Sammlung allein noch kein Museum im modernen Sinne
des Wortes, und die Objekte, aus denen sich die von Pomian beschriebenen Tempel-
schätze zusammensetzten, unterschieden sich natürlich in einem ganz entscheiden-
den Punkt von den Exponaten moderner Museen: jenem nämlich, dass Weihobjekte
für den sakralen Kontext geschaffen werden, während Museen sich ja gerade Dinge
einverleiben, deren Entstehungs- und Gebrauchskontexte nicht länger bestehen. Den-
noch fallen zwei gewichtige Parallelen zwischen Tempel und Museum ins Auge. Ers-
tens sind im Tempel wie im Museum die Objekte einer alltäglichen Verwendung
ebenso entzogen wie ihrem Zirkulieren in wie auch immer beschaffenen Marktpro-
zessen. Zweitens tritt in beiden Fällen an die Stelle von Gebrauch und Vermarktung
eine neue Funktionalität der Bezeichnung und Repräsentation. Weder im Gotteshaus
noch im Museum stehen Objekte ganz für sich allein, sie signifizieren vielmehr ein
back to the
book Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen"
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien