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Das Museum: Ein Umriss | 35
führt ihren Besucher aus dem Altertum mit jedem Objekt weiter in die Gegenwart.
Die dritte Abteilung rückt die Naturgeschichte in den Fokus, wobei Mineralien sowie
Tiere und Pflanzen (also die drei aristotelischen Weltreiche) in Originalpräparat und
Nachbildung im Zentrum stehen. Abteilung Vier befasst sich einerseits mit tech-
nisch-mechanischen Exponaten, andererseits aber auch jener Objektgruppe, die wir
heute als ›ethnographisch‹ bezeichnen würden. Hier finden u.a. Musikinstrumente,
Messgeräte aller Art, Uhren, Schreibgeräte, Werkzeuge, Waffen und jede Form von
Maschinen ihren Platz. Zugleich werden aber auch Spielzeuge, Kleidungsstücke und
Schmuck der Fürstenfamilie sowie Puppen in unterschiedlichsten Landestrachten in
dieser Abteilung gesammelt. Die letzte Abteilung thematisiert schließlich abermals
das Fürstenhaus, indem sie Gemälde, Stiche, Ahnentafeln, Wandteppiche und Wap-
pen zusammenträgt. Über diese fünf Sektionen hinaus sollte nach dem Quicche-
berg᾿schen Prinzip jede Kunstkammer über eine Bibliothek und ein Ensemble nutz-
barer Handwerkstätten verfügen (vgl. Bredekamp 2007: 33ff.; vgl. Hanak-Lettner
2011: 90ff.).
Horst Bredekamp sieht in der Kunstkammer die mikrokosmische Abbildung des
mechanistischen Weltsystems, in dem sich die Gelehrten des frühneuzeitlichen
Abendlandes bewegten. Dabei weist er darauf hin, dass der Mechanismusbegriff des
15. und 16. Jahrhunderts ein sehr viel weiteres Einzugsgebiet aufweist als jener un-
serer Gegenwart: Ihm liegt das nur bedingt ins Deutsche übersetzbare Konzept der
machinamenta zugrunde, welches nicht nur ›Maschinen‹ im Sinne technischer Ge-
rätschaften beinhaltet, sondern schlechterdings alle Zusammenstellungen von Ein-
zelelementen, die einen gemeinsamen Zweck erfüllen. Hierunter fallen auch Kunst-
objekte und Gebäude, ebenso wie all jene Gefüge, welche die Natur hervorbringt
(vgl. ebd.: 45ff.).2 Vor diesem Hintergrund erscheint natürlich die ganze Welt als ein
sinnreiches machinamentum, und mit ihr auch die Kunstkammer, welche diese Welt
als ein Gefüge von Gefügen abbildet − im Modell Quicchebergs vorne und hinten
gerahmt und zusammengehalten von den Zeugnissen weltlicher Herrschaftsgewalt.
Zugleich wird die Kunstkammer zu einem medialen Raum, welcher ein bestimmtes
Narrativ über die kosmische Ordnung transportiert.
Damit war der erste große Schritt zum modernen Museum bereits getan: Die
Kunst-, Naturalien- und Wunderkammern der frühen Neuzeit hatten Mirabilien zu
Signifikanten eines räumlich ausgedehnten Bedeutungssystems gemacht. Der Mu-
seologe Friedrich Waidacher sieht gerade in diesem »Erzählen mit Hilfe von Dingen«
2 Angemerkt sei, dass ähnlich weitgefasste Maschinenbegriffe auch in der Gegenwart durch-
aus noch zur Anwendung kommen. So definiert z.B. Henning Schmidgen in großer Nähe
zu den machinamenta ›Maschinen‹ schlicht als Anordnungen heterogener Elemente, die in
ihrem Zusammenwirken einen ökonomischen Effekt hervorbringen (vgl. Schmidgen 2007:
145).
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien