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formen und disziplinieren soll. Im Preußen des 19. Jahrhunderts erschien hier eine
konsequente Ausrichtung auf die künstlerischen Ausdrucksformen der griechischen
und römischen Antike als das beste Mittel zum Zweck (vgl. ebd.). Das inhaltliche
Programm geht den Dingen der Ausstellung also voraus, anstatt aus ihnen entwickelt
zu werden. Wie Lenoirs Museumsphilosophie in Frankreich nachwirkt, so wirft nach
Korff Humboldt seinen Schatten über die deutsche Museumsgeschichte: Als in
deutschsprachigen Ausstellungen der 1970er Jahre die Objekte zeitweise nur noch
illustrativ neben Erklärungstafeln drapiert wurden, die nunmehr den eigentlichen An-
gelpunkt musealer Vermittlung darstellten, sei dies nur die Zuspitzung einer Muse-
umspraxis gewesen, die weder dem Objekt noch dem Besucher vertrauen mochte
(vgl. ebd.: 120).
Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Essener Ruhr Museums, identifiziert dar-
über hinaus noch zwei weitere Kriterien, in denen sich historische Ausstellungen von
(ästhetischen) Kunstausstellungen unterscheiden: Zum einen sind die Exponate des
Kunstmuseums schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als Träger kulturellen Sinns
vorgesehen gewesen, während jene des historischen Museums erst in der Ausstellung
dazu werden. Zum anderen (und damit zusammenhängend) steht das Ausstellungs-
stück im Kunstmuseum in sehr viel höherem Maße für sich allein, während jenes der
historischen Ausstellung in seiner Aussagekraft weit stärker vom Gesamtgefüge des
musealen Raumes abhängig ist (vgl. Grütter 1997: 668f.).
1.2.2 Museale Darstellung(en) und das politische Moment
Beide Museumstraditionen sind Produkte politischer Konjunkturen – Lenoir entwarf
sein Museumskonzept für das Frankreich der Revolution als ein Werkzeug zur Eman-
zipation des Menschen, Humboldts seines für das reformistische Preußen der napo-
leonischen Ära, welches in erster Linie an dessen Erziehung interessiert war. Die
Geschichte des Museums ist zwar zweifelsohne Teil jener der bürgerlichen Öffent-
lichkeit, seine Beschreibung als reiner Aushandlungsraum für Bedeutungen durch
das Laienpublikum greift indes zu kurz: Im 18. Jahrhundert wurden Museen zur
Staatsangelegenheit, weil man in ihnen strategische Orte für soziale Weichenstellun-
gen erkannte. Das British Museum entstand 1753 auf einen Parlamentsbeschluss hin
und wurde 1759 eröffnet, der Louvre öffnete seine Pforten 1793 für eine revolutio-
näre Öffentlichkeit (vgl. Samida 2002: 6). Die in Museen räumlich arrangierten Aus-
sagensysteme und die ihnen zugrundeliegenden materiellen Objekte wurden zu hoch-
brisanten Austragungsorten politischer Sinnstiftung, was sowohl die herausragende
Rolle des Museums als Ort politischer Kommunikation in einer sich konstituierenden
oder reformierenden Öffentlichkeit unterstreicht, als auch seine prekäre und oft un-
kontrollierbare Natur als mediale Anordnung. Anders als Bibliotheken und Archive
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien