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Das Museum: Ein Umriss | 45
1.2.5 Museumdinge als »epistemische Dinge« nach
Hans-Jörg Rheinberger
Um zu einem systematischeren Zugriff auf die Rolle von Ausstellungsobjekten im
Museum zu gelangen, schlägt Gottfried Korff daher vor, den vom Wissenschaftshis-
toriker Hans-Jörg Rheinberger geprägten Begriffs des »epistemischen Dings« für die
Museologie zu entleihen:
In den Dingen hofft man, einer Welt hinter dem Schleier der Bilder und Diskurse habhaft zu
werden, also einer Welt des Eigentlichen, des Authentischen zu begegnen, wobei authentisch
nicht mehr als historischer Akkreditierungsbegriff, sondern als eine Kategorie verstanden wird,
die sich auf Erlebnis- und Ereignisdimensionen bezieht: Im Gegensatz zu diesen primär affek-
tiv und nicht kognitiv zugeschnittenen Konzepten richtet sich das »epistemische Ding« an den
erkenntnisbefördernden Eigenschaften des Dings aus, also an den Modi des Gegebenen und
des Gegenüber. (Korff 2005: 91)
Diese Übertragung mag zunächst verwundern, denn bei Rheinberger steht dieser Ter-
minus in Verbindung mit einer augenscheinlich vom Museum sehr verschiedenen Art
von Einrichtungen: Sein Bezugspunkt sind die Laboratorien der Naturwissenschaf-
ten, insbesondere jene der Biologie und Biochemie – und mit ihnen jene Versuchs-
anordnungen bzw. »Experimentalsysteme«, welche das Substrat aller naturwissen-
schaftlichen Forschung bilden (Rheinberger 2006: 7). Epistemische Dinge müssen in
diesem Kontext nicht zwingend ›Dinge‹ im materiellen Sinne sein. Sie sind vielmehr
Gegenstände des Interesses, an welche Wissensanstrengungen herangetragen werden
und können auch die Gestalt von »Strukturen, Reaktionen, Funktionen« (ebd.: 27)
annehmen. Entscheidend ist, dass epistemische Dinge unbestimmt sind und sich noch
im prozeduralen Zustand einer zeitlich ausgedehnten ›Entstehung‹ befinden. Sie sind
keine sinnhaft geschlossenen und in eindeutige Begrifflichkeiten gebundenen Wis-
sensinhalte, sondern ein (Noch-)Unbekanntes, dessen konzeptuelle und sprachliche
Greifbarmachung überhaupt erst die Beweggründe naturwissenschaftlicher For-
schung liefert. Damit verfügen sie zugleich auch immer über eine Ebene des Palimp-
sesthaften, auf der sich ihre früheren, nunmehr überkommenen Beschreibungen und
Deutungszusammenhänge einschreiben (vgl. ebd.: 27f.).
Wenn epistemische Dinge innerhalb unserer bestehenden Wissenshorizonte
erahnbar werden, lässt sich das, was sie im Eigentlichen sind, für gewöhnlich noch
nicht in konziser Sprache benennen. Es existieren noch nicht genügend Anknüp-
fungspunkte für existierende Wissenssysteme, als dass man mittels eines einzigen
Begriffs eine Brücke zwischen dem Gegenstand und den bekannten Konzepten schla-
gen könnte, innerhalb derer er sich erklären lässt. Entsprechend muss das epistemi-
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book Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen"
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien