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Das Museum: Ein Umriss | 55
Ausstellungsräume zu reinen Projektionsflächen für Medientechnologien verkom-
men, gegen deren hyperreale Erlebnisqualität sich die eigentlichen Exponate nicht
mehr behaupten können (vgl. ebd.: 352f.).
Das Kommunikationsmodell, das sich für Paul aus diesem Umgang mit Raum-
elementen ergibt, ist eine Übertragung des Shannon-Weaver᾿schen Dreigestirns von
Sender – Medium – Empfänger (vgl. Shannon u. Weaver 1963) auf die musealen
Funktionsgrößen Objekt, Raum und Besucher (vgl. ebd.: 353). Hiermit jedoch gerät
Paul ins Schlingern: Zweifelsohne ist der Besucher der ›Empfänger‹, aber das Objekt
könnte ebenso gut als ›Medium‹ der Ausstellung begriffen werden, während sich dem
in diesem Modell überhaupt nicht auftauchenden Kuratorium auch die ›Sender‹-
Rolle zuschreiben ließe.
Paul ist sich solcher Einwände durchaus bewusst und verweist für ein alternatives
Modell auf einen Vortrag des Kommunikationswissenschaftlers Michael Schmolke,
der im Jahre 2002 auf einem Berliner Workshop zum Thema Ausstellungen als In-
strumente der Wissensvermittlung gehalten wurde. Schmolkes Prämisse ist, dass die
Idee von einem ganz für sich selbst sprechenden Exponat zwar für die Museumsdi-
daktik als anzustrebendes und disziplinierendes Ideal sinnvoll sein mag, an der Rea-
lität des Museumsbesuchers aber vorbeiginge. Sie wüssten über die ausgestellten Ob-
jekte entweder zu wenig, um sie ohne jede Hilfestellung interpretieren zu können,
oder aber auch zu viel, um unter den verschiedenen möglichen Bedeutungsebenen
eine sinnvolle Auswahl treffen zu können. Der Besucher, so Schmolkes These,
komme ins Museum, um sich bereits arrangierte Bedeutungen abzuholen – und dem-
entsprechend seien es eben nicht die Dinge selbst, die sich im Museum mitteilen,
sondern die Macher der Ausstellung, welche über diese Dinge und das Gesamtgefüge
der Ausstellung im Raum eine »Idee« bzw. ein Konzept mitteilen (vgl. Schmolke
2002: 1).
Schon 1976 brachte der Kunsthistoriker Detlev Hoffmann eine ähnliche Kritik an
antiautoritären Museumskonzepten der 70er Jahre an, welche nach seinem Dafürhal-
ten jede Form erklärender Vermittlung unter den Verdacht gestellt hätten, im Dienste
»autoritärer Weltanschauungen« (Hoffmann 1976; 101) zu stehen. Hoffmann sieht
hierin eine naive Einschätzung dessen, was Museumsdidaktik und -pädagogik tat-
sächlich leisten – nämlich eine Einordnung der Objekte in historische Kontexte. Ge-
rade dieses Prinzip der ›Historisierung‹ sei das, was die Dinge vor der »Interpretati-
onswillkür« (Hoffmann 1976: 101) bewahre, indem es implizite Maßstäbe für die
Zulässigkeit von Deutungen etabliere (vgl. ebd.).
Statt der Begriffe ›Sender‹ und ›Empfänger‹, die ja eine klare Richtung des Kom-
munikationsvorganges und eine klare Begrenzung der Kommunikationsteilnehmer
implizieren, verwendet Schmolke in seiner Vorstellung von musealem Informations-
austausch die Ausdrücke »Kommunikator« und »Rezipient« (Schmolke 2002: 2).
Dinge, so stellt er fest, sind durchaus Kommunikatoren – aber sie können eine Bot-
schaft immer nur so eindeutig vermitteln, wie es die Rezipienten zulassen. Weil eben
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien