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Das Museum: Ein Umriss | 59
prägnantes Beispiel für die Bedeutung des vantage point nennt Wurman hier den Ef-
fekt, den das bloße Umdrehen einer Weltkarte erzielt. Die Welt mit dem Süden auf-
wärts darzustellen ändert nichts am messbaren informationellen Gehalt einer Karte,
aber der veränderte Blickwinkel legt offen, welche impliziten kulturellen Vor- und
Werturteile sich mit der genordeten Darstellungsform verbinden (vgl. ebd.: 66).
Vantage points liegen dabei immer außerhalb der konkreten Informationsinhalte
– gewissermaßen also in den Zwischenräumen (vgl. ebd.: 72). Diese Zwischenräume
wiederum erhalten laut Wurman jedoch selbst Informationswert, insofern sie durch
Informationseinheiten gegliedert und begrenzt sind (vgl. ebd.: 73). Ohne sich hier
selbst in die Tiefen der Raumtheorie zu begeben, entwirft Wurman also ein Informa-
tionsmodell, das deutliche Parallelen aufweist zu Brigitte Scheers These, die Zei-
chensetzung im Raum mache den Raum schlechthin erst erfahrbar macht und ermög-
liche es, Räumen Bedeutungen zuzuschreiben. Wurmans Argumentation läuft jedoch
in die genaue Gegenrichtung: Während für Scheer der leere Raum nur von jenen
Punkten aus gedacht werden kann, an denen er mit Zeichen belegt ist, können für
Wurman Informationsinhalte nur dann vermittelt werden, wenn man die Vermittlung
aus dem Zustand der Informationsleere heraus konzipiert. Wissen vermitteln, so stellt
Wurman fest, kann nur, wer sich in den Zustand des Nichtwissens zurückversetzen
kann: »Communication equals remembering what it᾿s like not to know.« (ebd.: 130).
Diese Feststellung mag auf den ersten Blick trivial erscheinen und deckt sich
zweifelsohne mit den Erfahrungen eines jeden, der jemals gelehrt oder gelernt hat.
Bemerkenswert ist hier jedoch zweierlei: Zum einen bedient sich Wurman in Infor-
mation Anxiety laufend räumlicher Metaphern, um abstrakte Informations- und Kom-
munikationszusammenhänge zu beschreiben. Erst relativ spät kommt er in einem ein-
geschobenen Interview mit dem Ausstellungsdesigner Ed Schlossberg tatsächlich
auch auf Mitteilungssysteme zu sprechen, die im physikalischen Raum ausgedehnt
sind.8 Zweitens begreift er als Informationstheoretiker die Entstehung von Wissens-
gegenständen aus ihrem bedeutungsleeren Umfeld heraus, während der Muse-
umspraktiker Paul und die Philosophin Scheer das Umfeld als Produkt seiner Inhalte
verstehen. Dies wird uns später im Zusammenhang mit dem Begriff der ›Information‹
noch näher beschäftigen.
1.3.6 Inszenierungen des Sozialen zwischen Ort und Raum
Verweilen wir noch einige Seiten lang bei der Vorstellung vom Museum als einem
Raum vielstimmiger Kommunikation. Im Jahre 1971 unterschied der damalige Di-
rektor des Brooklyn Museum, Duncan F. Cameron, zwei kommunikative Formen,
8 Schlossberg unterstreicht hier übrigens wie Paul und Boas die Wichtigkeit der Offenheit
von Ausstellungsräumen und die Gefahren zu enger Programmatiken (vgl. Wurman 1989:
133ff.).
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien