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steht im Zeichen räumlicher Offenheit und soll Diskussionen zwischen Museums-
raum und Lebenswelt über die Museumswände hinweg ermöglichen.
Vierzig Jahre später ist die Diskussion über die Rolle des Besuchers im Museum
so lebendig wie eh und je. Eine der jüngeren deutschsprachigen Veröffentlichungen
zu diesem Problem- und Phänomenbereich erschien 2011 in Form des Sammelbandes
Das partizipative Museum, herausgegeben von Susanne Gesser, Martin Handschin,
Angela Jannelli und Sibylle Lichtensteiger, bei denen es sich durchweg um Muse-
ums- und Ausstellungspraktiker handelt.
Aus den Beiträgen dieses Sammelbandes sticht ein Aufsatz des Schweizer Kura-
tors Beat Hächler heraus, der die Frage nach dem Museum als Einrichtung, die Be-
sucher ins Gespräch bringen soll, nicht nur rein gestalterisch angeht, sondern sie auch
raumphilosophisch kontextualisiert. Hächler bedient sich dabei des bereits im Zu-
sammenhang mit den Überlegungen Stefan Pauls gefallenen Begriffes der ›Szeno-
graphie‹, der er das Adjektiv ›sozial‹ voranstellt. »Soziale Szenographie« ist für ihn
eine Herangehensweise in der Ausstellungsgestaltung, die weniger darum kreist, mit
Raumelementen ein bestimmtes narratives Konzept zu vermitteln, sondern über die
Beschaffenheit von Ausstellungsräumen in erster Linie den Austausch unter den Be-
suchern anstoßen möchte. Diese sollen selbst zu einem Teil der Ausstellung werden
und soziale Gefüge ausspielen, indem sie sich durch sie hindurchbewegen (vgl. Häch-
ler 2011: 137f.).
Hächler beruft sich dabei auf die Raumtheorie des französischen Jesuitenpaters
und Kulturphilosophen Michel de Certeau, wie dieser sie 1980 in seinem wichtigsten
Werk Die Kunst des Handelns (Arts de Faire) dargelegt hat. Certeau unterscheidet
darin kategorisch zwischen Raum (espace) und Ort (lieu). Der Ort ist für Certeau ein
statisches Gebilde, das sich aus der gefügten Koexistenz von benenn- und lokalisier-
baren Elementen ergibt. Räume dagegen sind zeitlich gebundene Zusammenkünfte
von »Richtungsvektoren, Geschwindigkeitsgrößen und [der] Variabilität der Zeit«
(Certeau 1988: 218). Der Raum ist also für Certeau nichts als fertiges Produkt Vor-
gefundenes, sondern etwas, das prozedural erst ›gemacht‹ werden muss. Er ergibt
sich aus dem Umstand, dass in ihm gehandelt wird. Und weil er eben erst durch
Handlungen geschaffen wird, ist der Raum im Gegensatz zum Ort nach Certeau kon-
tinuierlich, fließend und veränderlich – er ist »ein Ort, mit dem man etwas macht«
(ebd.) und existiert in seiner Wesensart nur innerhalb dieser Pragmatik, die nicht an
den Raumbegriff der Physik gebunden ist:
So wird zum Beispiel die Straße, die der Urbanismus geometrisch festlegt, durch die Gehenden
in einen Raum verwandelt. Ebenso ist die Lektüre ein Raum, der durch den praktischen Um-
gang mit einem Ort entsteht, den ein Zeichensystem – etwas Geschriebenes – bildet. (Ebd.)
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien