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Summe übertrifft und das in seiner Beschaffenheit historischen Veränderungen un-
terliegt. Nicht zuletzt sind natürlich auch Museen und ihre Vorgängerinstitutionen,
vom antiken Tempel bis zur Wunderkammer, strategisch in soziale Unternehmungen
wie z.B. die bürgerliche Aufklärung eingebunden gewesen und weiterhin eingebun-
den.
In den beinahe vier Jahrzehnten, die zwischen den obigen Ausführungen
Foucaults und der Entstehung der vorliegenden Arbeit liegen, ist der Dispositivbe-
griff über seine ursprüngliche Konzeption hinaus erweitert und in modifizierten For-
men in das Vokabular verschiedenster Forschungsgebiete importiert worden. Unter
dem beiden Texten gemeinsamen Titel Was ist ein Dispositiv? verfassten mit Gilles
Deleuze (1991) und Giorgio Agamben (2006) zwei zentrale Vertreter der zeitgenös-
sischen kontinentalen Philosophie Versuche, aus den disparaten Äußerungen
Foucaults über das Dispositiv verbindliche definitorische Kriterien herauszudestillie-
ren, bzw. diese gleichzeitig zu erweitern und zu präzisieren.
Deleuze bedient sich in seinem Aufsatz einer geometrischen Metaphorik. Für ihn
ist das Dispositiv zunächst ein »Durcheinander, ein multilineares Ensemble« (De-
leuze 1991: 153), das sich aus »Linien verschiedener Natur« (ebd.) zusammensetzt.
Diese ›Linien‹ aber, so fährt Deleuze fort, seien nicht etwa die Umrisse statischer
Systeme, »deren jedes für sich homogen wäre« (ebd.), sondern vielmehr die gedach-
ten Abbilder gerichteter Prozesse: »Die sichtbaren Objekte, die formulierbaren Aus-
sagen, die zur Ausübung kommenden Kräfte, die in Positionen befindlichen Subjekte
sind wie Vektoren oder Tensoren« (ebd.). Deleuze legt dabei besonderen Wert auf
die Beobachtung, dass diese Vektoren und Tensoren selten gradlinig sind, sondern
meist »gebrochen und damit Richtungsänderungen« oder aber »verzweigt und gega-
belt und damit Abweichungen unterworfen« seien (ebd.).
Das, was entlang der Vektorenlinien ausgerichtet wird, sind nach Deleuze die drei
»großen Instanzen« Macht, Wissen und Subjektivität (ebd.), die Linien selbst ver-
wendet er als Metaphern für »Ketten von Variablen, die sich voneinander ablösen«
(ebd.). Die Erforschung von Dispositiven gleiche daher dem Erkunden neuer Länder,
man könne sie nicht auf einfache Erklärungsmodelle reduzieren und definitorisch ab-
schließen, sondern lediglich kartieren, vermessen und beschreiben (vgl. ebd.).
Für das, was Dispositive in der sozialen und kulturellen Welt tatsächlich leisten,
verwendet Deleuze eine weitere Metapher – und zwar bezeichnenderweise jene der
›Maschine‹. Dispositive sind für ihn maschinelle Anordnungen, die Sichtbarkeiten
und Sagbarkeiten produzieren. Sie sollen Menschen dazu bringen, auf bestimmte Ar-
ten zu sehen und zu sprechen. Den Sichtbarkeitsaspekt verdeutlicht er naheliegender-
weise mit dem von Foucault selbst in Überwachen und Strafen eingehend diskutier-
ten Dispositiv des Panoptikons – jenes Gefängnistypus also, in welchem die latente
Möglichkeit des Überwachtwerdens den Häftling zur Selbstdisziplinierung auch
dann zwingt, wenn augenblicklich gar keine Überwachung stattfindet. Es entsteht so
ein Machtsystem, in welchem die Macht selbst von keiner benennbaren Person mehr
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien