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[...] die (begrifflich-theoretisch wie empirisch-forschungspraktisch vorzunehmende) Bestim-
mung des je über Wissen vermittelten Verhältnisses von Diskurs, Macht und dem gesellschaft-
lichen Sein. – ›Das Sein‹ ist hier zu verstehen als sinnlich-materiale gesellschaftliche Praxis,
die die sozialen Beziehungen zwischen Menschen, ihren Umgang mit den sie umgebenden
›Dingen‹ sowie ihre damit jeweils verbundenen (Selbst-)Erfahrungen – als Subjekte – konsti-
tuiert und formiert. (Bührmann u. Schneider 2008: 32f.)
Giorgio Agamben geht über Deleuzes Ausführungen hinaus und erläutert Foucaults
Dispositiv-Vorstellung nicht nur, sondern unterzieht sie zugleich einer begriffsge-
schichtlich-kritischen Revision. Er beobachtet, dass Foucault in seiner Archäologie
des Wissens aus dem Jahre 1969 noch nicht von Dispositiven spricht, sondern viel-
mehr für dispositivartige Machtgefüge den Begriff der Positivitäten verwendet.
Agamben führt diesen über einen von Focaults frühen Lehrern, den Philosophen Jean
Hyppolite, auf die hegelianische Religionsphilosophie zurück. Hyppolite setzte sich
in seinen Arbeiten ausführlich mit Hegels Unterscheidung zwischen »natürlicher«
und »positiver« Religion auseinander, wobei die natürliche eine direkte, verinner-
lichte Beziehung zwischen Mensch und Gottheit beschrieb, die positive hingegen den
Ritenschatz, die abstrakten Glaubensgrundlagen, die Regelwerke der Glaubensge-
meinschaft – die Gesamtheit der institutionalisierten Religionspraxis also, die durch
zeremonielle Verrichtung und Gehorsam das soziale Bekenntnis zur Kultgemein-
schaft erzwingen soll (vgl. Agamben 2008: 11ff.). Aber nicht nur den Positivitätsbe-
griff sieht Agamben ursprünglich in einem religiösen Kontext verortet. Auch der Be-
griff des Dispositivs selbst entstammt nach seinem Dafürhalten der Kirchensprache.
Das Wort dispositio tauche nämlich erstmals in frühchristlichen lateinischen Texten
als Übersetzung des griechischen oikonomia auf. Dieses wiederum sei nicht etwa als
eine Entsprechung unserer modernen Vorstellung von ›Ökonomie‹ zu lesen, sondern
vielmehr als eine Metaphorik für die christliche Dreifaltigkeit, in welcher Gott der
Vater Christus den Sohn als Verwalter seines irdischen Hauses oder oikos einsetzt
(vgl. ebd.). Aus dieser begriffsgeschichtlichen Dimension leitet Agamben die Folge-
rung ab, dass Dispositive etwas seien, »in dem und durch das ein reines Regierungs-
handeln ohne jegliche Begründung im Sein realisiert wird« (ebd.: 23). Dies wiederum
veranlasst ihn, eine erweiterte Definition des Dispositivs vorzuschlagen:
Als Dispositiv bezeichne ich alles, was irgendwie dazu imstande ist, die Gesten, das Betragen,
die Meinungen und die Reden der Lebewesen zu ergreifen, zu lenken, zu bestimmen, zu hem-
men, zu formen, zu kontrollieren und zu sichern. Also nicht nur die Gefängnisse, die Irrenan-
stalten, das Panoptikum, die Schulen, die Beichte, die Fabriken, die Disziplinen, die juristischen
Maßnahmen etc., deren Zusammenhang mit der Macht in gewissem Sinne offensichtlich ist,
sondern auch der Federhalter, die Schrift, die Literatur, die Philosophie, die Zigarette, die Schif-
fahrt, die Computer, die Mobiltelefone, und − warum nicht − die Sprache selbst, die das viel-
leicht älteste Dispositiv ist [...] (Ebd.: 26)
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien