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schirme, eine Tastatur und eine Anzahl von Kontrollhebeln und -schaltern eingelas-
sen gewesen wären (vgl. ebd.). Wie Jahrzehnte später die ›Desktop‹-Interfaces der
Heim- und Personalcomputer sollte also schon Memex an ein etabliertes Dispositiv
des Arbeitslebens anknüpfen.
Für die Speicherung und räumliche Kompression schriftlicher und bildlicher In-
halte war die Verwendung von Mikrofilmrollen vorgesehen. Bush ging davon aus,
dass deren Kapazität zur fotografischen Verkleinerung bis zur praktischen Umset-
zung von Memex soweit ausgereift sein würde, dass ein Nutzer selbst beim Abspei-
chern von 5.000 Seiten Text- und Bildmaterial am Tag hunderte von Jahren benöti-
gen würde, um die Menge an Film zu füllen, die in einem der Geräte Platz fände (vgl.
ebd.). Zusätzlich zur Anzeige fertig gekaufter Rollen, die z.B. Bücher und Zeitschrif-
ten enthalten hätten, sollte Memex auch die Speicherung auf leerem Film ermögli-
chen: Neben dem Projektionsschirm hätte sich eine Glasplatte mit einer Kamera da-
runter befunden, welche u.a. zum Abfotografieren von privater Korrespondenz und
Notizen dienen sollte (vgl. ebd.).
Der Abruf bestimmter Inhalte sollte über Codes funktionieren, die über die Tas-
tatur einzugeben gewesen wären ‒ in einem Codebuch hätte der Nutzer die Kennzif-
fern sämtlicher Bücher, Aufsätze, Artikel, Briefe usw. in seiner Mikrofilmbank ver-
zeichnet, um diese dann direkt ansteuern zu können. ›Geblättert‹ worden wäre, wie
bei tatsächlich realisierten Mikrofilmlesegeräten, mit zwei kleinen Hebeln, welche
den Film wahlweise vor- oder zurückspulen sollten. Ferner hätte Memex nach Bushs
Entwurf über die Möglichkeit zum Setzen eigener elektronischer Lesezeichen ver-
fügt, die das direkte hin- und herspulen zwischen mehreren markierten Stellen auf
derselben Filmrolle ermöglichen sollten. Mit einem dem ursprünglich zur elektroni-
schen Übertragung von Unterschriften konzipierten Telautographen verwandten
System wäre es darüber hinaus möglich gewesen, handschriftliche Notizen und An-
merkungen auf dem Mikrofilm vorzunehmen (vgl. ebd.).
All diese angedachten Funktionen waren den technischen Möglichkeiten des Jah-
res 1945 nicht allzu weit voraus ‒ auch wenn man sicherlich darüber spekulieren darf,
wie Verschleiß- und Störungsanfällig eine Maschine gewesen wäre, die sie alle
gleichzeitig auf mechanischem Wege bewältigt. Und obwohl Memex schon darin
eine sehr andere Auseinandersetzung mit Texten ermöglicht hätte, als sie rein papier-
basiert möglich ist, verdankt das Gerät seinen Platz in der Ideengeschichte der Hy-
pertexttheorie vor allem einer geplanten Frühform von ›Verlinkung‹, deren techni-
sche Grundlage Bush zwar antizipieren, aber noch nicht zur Umsetzung anbieten
konnte. Geplant war, dem Memex-Nutzer die Möglichkeit zum Anlegen von Wis-
sens-›Trails‹ zu geben, indem er diesen einfach eigene Kennziffern zuweist und diese
wiederum in seinem Codebuch notiert. Hätte er zwei separate Wissenspartikel auf
nebeneinanderliegenden Projektionsschirmen vor sich und wiese er mittels seiner
Tastatur beiden dieselbe ›Pfad‹-Ziffer zu, so wären sie miteinander verknüpft und ein
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien