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Netz und Virtualität | 105
ihrer lässt sich ein Text zwar in seiner konkreten Verfasstheit vermessen, aber nicht
in seiner prozeduralen Entstehung durch Erschließung aus dem Virtuellen. Aarseth
setzt ihnen daher die Begriffe des Textons und des Scriptons entgegen: Textone bil-
den die Elementarteilchen des Hypertextes, also jene einzelnen und irreduziblen
Textstücke, die selbst nicht mehr von Links unterteilt sind. Ihre Beschaffenheit und
Begrenztheit ist damit immer nur im Zusammenhang des übergreifenden Netzwerks
ersichtlich, sie bilden die Knoten zwischen den Sinnvektoren der Hyperlinks. Einfa-
che Beispiele für Textone wären z.B. eine einzige Webseite7, eine einzelne Zeile aus
Quesneaus permutativen Sonetten, oder ein einziges der wählbaren Worte aus
Harsdörffers Wechselsatz. Scriptone werden im Gegensatz zu Textonen vom Leser
nicht vorgefunden, sondern gemacht bzw. aktualisiert: Ein Scripton ist jede sinnvolle,
aus dem Verfolgen von Links entstandene Kette von Textonen (vgl. Aarseth 1995:
60f.).
Aarseth entwickelt diese Begriffe wiederum im Rahmen einer nonlinearen
Texttheorie, welche Mitte der 90er Jahre nach ganz neuen Beschreibungsmodellen
für mutable und prozessorientierte Textformen verlangte, die vor allem von digitalen
Medienformen getragen wurden und mit den Begrifflichkeiten der etablierten Litera-
turtheorie nur mehr bedingt greifbar schienen. Hypertexte sind unsichtbare Netz-
werke, bzw. wird der Netzwerkbegriff im Zusammenhang mit ihnen zur Metapher:
Anders als das physische Internet, das zwar in seiner schieren Ausdehnung kaum
mehr zu (be-)greifen, aber dennoch als Gefüge von Computern und Leitungen in der
physischen Welt zumindest vorstellbar ist, verfügen Hypertexte gerade aufgrund der
zuvor identifizierten Entkopplung der Logik von Hard- und Software über keinen
materiellen Unterbau, der ihre Vernetztheit abbildet. Sie können dementsprechend
nur auf zwei Arten greifbar gemacht werden: Als rein bildhaftes Denkmodell, dass
eben Textone als Knotenpunkte und Links als Vektoren der Erzeugung von Scripto-
nen in einem Netzgewebe der Sinnoptionen beschreibt und damit zumindest eine
funktionale Verständigung darüber ermöglicht, was Hypertexte sind ‒ oder aber mit-
tels einer mathematischen Auswertung der Beziehungen der Textbausteine unterei-
nander (vgl. ebd.: 60f.).
2.4.1 Topologie und Textraum
Der Ansatz, den Aarseth hierzu vorschlägt, stammt aus der Geometrie. Weil die Fülle
der Linearitätsoptionen in komplexen Hypertexten es unmöglich mache, ihren Auf-
bau in simplen narrativen Kategorien zu verstehen, gelte es, ihre Gesamtgefüge in
den Fokus zu rücken und in ihrer Topologie zu begreifen:
7 Gemeint ist hier tatsächlich eine einzelne Webseite – nicht etwa eine Ansammlung von
Seiten unter einer gemeinsamen Domain, die man umgangssprachlich als website bezeich-
nen würde, wie z.B. de.wikipedia.org.
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien