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Netz und Virtualität | 107
Insofern ist, wie Roberto Simanowski feststellt, das ›Mapping‹ oder Kartieren die
Paradedisziplin der kulturellen und künstlerischen Auseinandersetzung mit digitalen
Medien (vgl. Simanowski 2008: 111). Als Beispiel führt er hier das zum Valentinstag
2006 von Golan Levin, Kamal Nigam und Jonathan Feinberg ins Leben gerufene
Projekt The Dumpster an. The Dumpster (wörtlich: der Abfallcontainer, abgeleitet
aber vom Verb to dump, das neben ›wegwerfen‹ auch ›Schluss machen‹ bedeuten
kann) wird auf der zugehörigen Homepage8 als »a portrait of romantic breakups col-
lected from blogs in 2005« beschrieben: 20.000 aus privaten Blogs extrahierte Posts,
welche die Worte ›broke up‹ oder ›dumped me‹ enthielten, wurden ausgewählt und
über ein animiertes Interface aus in Rottönen kodierten Punkten (die jeweils be-
stimmte Trennungs-Kategorien beschreiben) abrufbar gemacht (vgl. ebd.: 102). Si-
manowski sieht hierein eine mustergültige Auseinandersetzung mit dem Digitalen,
weil das Projekt letztlich die weitgehend beliebige Übersetzbarkeit von allem in alles
betont und diese Eigenschaft transcodierbarer Information ausnutzt, um im Internet
publizierte Beziehungskisten zunächst in abstrakte Daten zu transformieren und diese
wiederum über ein bildgebendes Verfahren ästhetisch rezipierbar zu machen. Unter
Anspielung auf Duchamps Fountain nennt Simanowski dieses Spiel mit dem infor-
mationellen Detritus des World Wide Web »eine domestizierte Variante des
Readymade, die statt auf den Skandal nun doch auf die Schönheit des Pissoirs setzt«
(Simanowski 2008: 112).
2.4.2 Anschluss statt Abschluss
Man mag über Sinn und Unsinn solcher künstlerischer Auseinandersetzungen mit
Hypertexten geteilter Meinung sein. In jedem Falle aber stellen Projekte, die sich mit
der Visualisierung von Hypertextgefügen befassen (wie beliebig deren Inhalte auch
sein mögen) implizit immer auch die Frage nach Bewältigungsstrategien für Text-
körper, die sich jeder etablierten Vorstellung von literarischer Abschließbarkeit wi-
dersetzen. Obwohl das World Wide Web zweifelsohne das größte und kulturell ein-
flussreichste existierende Hypertext-System darstellt, stammen viele der Theorien
und Methoden, welche in den Geistes- und Kulturwissenschaften zum Umgang mit
Hypertextphänomenen herangezogen werden, noch aus einer Zeit vor dem WWW
und legen eine ganz andere Art von Hypertexten zugrunde. Die in den 1980er und
90er Jahren kurzzeitig aufgeblühte Hypertext-Literatur kam in Form zwar vernetzter
und multilinearer, letztlich aber doch begrenzter Textgebäude daher, die zwecks Ver-
breitung auf physischen Datenträgern wie Disketten und CD-Roms abgespeichert
und dementsprechend in einer bestimmten Verfasstheit finalisiert werden mussten.
Das World Wide Web hingegen präsentiert sich als
8 http://artport.whitney.org/commissions/thedumpster/ vom 15.12.2015.
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien