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Netz und Virtualität | 115
laufend in informatives Neuland vorstößt, weil er vorurteilsfrei, absichtslos und er-
gebnisoffen ins Unbekannte hineinspaziert und die mediale ›Landschaft‹ einfach auf
sich wirken lässt (vgl. Manovich 2002: 268ff.).
Der Detektiv dagegen müsse, wie Wirth abermals mit Eco feststellt, immer Vor-
urteile an den Text herantragen, um ihn ergründen zu können. Diese seien nicht not-
wendigerweise in Stein gemeißelt und könnten im Laufe der Lektüre durchaus eine
Revision erforderlich machen und erleben, sie seien aber eine zwingende Vorausset-
zung allen detektivischen (und auch wissenschaftlichen) Denkens. Er verwendet hier
einen Begriff, den Eco den Collected Papers des amerikanischen Philosophen
Charles Sanders Peirce entleiht: jenen der Abduktion (vgl. Wirth 1997: 328, vgl. Eco
2011: 205ff.). Abduktion schießt in der Produktion von Erkenntnis quer zu Induktion
und Deduktion: Während Induktion begründete und wahrscheinliche Schlussfolge-
rungen aus Beobachtungen zieht und Deduktion zwingende Aussagen aus gegebenen
Prämissen extrapoliert,12 beschreibt Abduktion das Formulieren der Annahme, dass
es überhaupt Zusammenhänge zwischen Einzelbeobachtungen und damit etwas zu
erkennen gibt. Peirce verwendet aus diesem Grunde in seinen früheren Schriften auch
den Begriff der Retroduktion für dasselbe Stadium der Produktion von Erkenntnis:
Gemeint ist die Entwicklung der Annahme, das separate Phänomene sich auf gemein-
same Ursachen zurückführen lassen. Die Methode dieser Annahmenentwicklung ist
dabei eine der Plausibilisierung aus der kursorischen Beobachtung von Umständen
heraus. Peirce schreibt:
The inquiry begins with pondering these phenomena in all their aspects, in the search of some
point of view whence the wonder shall be resolved. At length a conjecture arises that furnishes
a possible Explanation, by which I mean a syllogism exhibiting the surprising fact as neces-
sarily consequent upon the circumstances of its occurrence together with the truth of the cred-
ible conjecture, as premisses. On account of this Explanation, the inquirer is led to regard his
conjecture, or hypothesis, with favor. As I phrase it, he provisionally holds it to be »Plausible«;
this acceptance ranges in different cases – and reasonably so – from a mere expression of it in
the interrogative mood as a question meriting attention and reply, up through all appraisals of
Plausibility, to an uncontrollable inclination to believe. […] the final estimation of its Plausi-
bility, I reckon as composing the first stage of inquiry. Its characteristic formula of reasoning I
term Retroduction. […] In short, it is a form of Argument rather than of Argumentation. Retro-
duction does not afford security. The hypothesis must be tested. (Peirce 1966: 367f.)
Eco beschreibt die Abduktion am Beispiel eines Säckchens voller weißer Bohnen.
Habe ich ein Säckchen vor mir und weiß, dass es weiße Bohnen enthält, so kann ich
Voraussagen, dass bei einem blinden Griff in den Beutel alle Bohnen in meiner Hand
12 In Kapitel 3.2.3 werden diese beiden Begriffe im Zusammenhang mit Gilbert Simondons
Begriff der Transduktion noch einmal genauer diskutiert.
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien