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Während im Museum Narrative über vergangene Wirklichkeiten aus Objekten
aktualisiert werden, die materiellen Dinge also die Oberfläche eines kulturellen Dis-
kurses bilden, ist die Virtualität digitaler Medien immer eine doppelte: Das Interface
aktualisiert kulturell interpretierbare Zeichensysteme aus dem abstrakten Code, und
der Rezipient aktualisiert aus diesen seinerseits Bedeutungen. Kuratoren, die mit di-
gitalen Medien arbeiten, sprechen meist nur die Sprache einer dieser Schichten − und
damit übertragen sie einen Teil ihrer Souveränität in der ›Ausstellungs‹-Gestaltung
an ein formallogisches System, das selbst zur Autorschaft unfähig ist und das Mano-
vich als den computer layer charakterisiert hat. Wolfgang Ernst beschreibt das hier-
mit auftretende Qualifikationsproblem − wohlgemerkt nicht im Hinblick auf das Mu-
seum im Speziellen, sondern auf Geschichtsvermittlung im Allgemeinen − folgen-
dermaßen:
Datenverarbeitung operiert nicht auf der Basis von Sprachen, sondern von Algorithmen und
zeigt deshalb Effekte, die keine Rede zureichend beschreiben kann. Bleibt das Projekt einer
»History of the Computer in its own medium«. Diese history aber wäre keine Erzählung mehr,
sondern Berechnung (computing) [...] Klassische Geschichtswissenschaftler mußten noch le-
diglich über alphabetische Kompetenz verfügen. Mediengeschichtswissen aber bedarf der Pro-
grammierkompetenz, und einmal mehr taucht die Rätselfrage auf, in welchem Verhältnis bei
Medien Programm und Narrativität stehen. (Ernst 1997: 700)
Suzanne Keene, deren Buch Digital Collections aus dem Jahre 1998 ein umfassendes
Resümee über die Erfolge und Fehlschläge musealer Digitalisierungbestrebungen in
den 1990er Jahren darstellt, geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass sich im
Zuge der Digitalisierung nicht nur Funktion und sozialer Ort des Museums selbst
ändern würden, sondern auch die Berufsbilder der Museumsmitarbeiter. Digitale Me-
dien, so ihre Feststellung, nehmen diesen nämlich nicht nur Arbeit ab (z.B. bei der
Verwaltung und Katalogisierung von Objektbeständen), sondern generieren auch
ganz neue Aufgabenfelder, die unter vordigitalen Bedingungen niemals zu ihrem
Qualifikationsprofil gehört haben: Die technischen Entscheidungen, die mit der Ein-
bindung von Computern in Arbeitsprozesse verbunden sind, dürften Keene zufolge
eigentlich nur von Experten auf den entsprechenden Gebieten gefällt werden (vgl.
Keene 1998: 78ff.).
Der Phänomenbereich einer ›Museumsdigitalisierung‹ im weitesten Sinne ist in-
des nicht gleichbedeutend mit der konkreten Idee eines ›virtuellen Museums‹, deren
Implikationen im Laufe dieses Kapitels noch zu erörtern sein werden und die in Dis-
kursen über das Zusammenwirken von Museum und Computertechnologien sowohl
eine Tatsächlichkeit als auch eine Utopie beschreibt: Auf individueller Ebene sind
virtuelle Museen Web-Angebote, welche den Anspruch erheben, nicht nur Museums-
Homepages zu sein, sondern ein zum physischen Museumsbesuch äquivalentes, te-
lepräsentes Erleben einer Sammlung zu ermöglichen. Auf der über solche einzelnen
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien