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124 | Dinge – Nutzer – Netze
und physisch präsenten Erscheinungsformen des Museums gezogen, weil die Tech-
nik ja selbst notwendigerweise Material ist: Klassisches und elektronisches Museum
finden in derselben physikalischen Wirklichkeit statt. In der Fachliteratur der darauf-
folgenden Jahrzehnte und insbesondere der 1980er und 1990er Jahre lässt sich hin-
gegen eine Tendenz zu Adjektiven beobachten, welche diese beiden Formen von Mu-
sealität einerseits kategorial voneinander trennen, zugleich aber auch ein bestimmtes
Beziehungsgefüge zwischen ihnen behaupten.
Die Bezeichnung digital museum, die sich exemplarisch z.B. bei den kanadischen
Museologen Gorge MacDonald und Stephen Alsford findet (vgl. MacDonald u. Als-
ford: 1997), stellt ebenfalls einen technischen Aspekt in den Mittelpunkt − jedoch
einen, der für den Betrachter des Mediums meist unsichtbar (weil hinter Interfaces
verborgen) bleibt. Während im ›elektronischen Museum‹ das Vorhandensein eines
technischen Apparates im Prozess musealen Erlebens schlechthin als Unterschei-
dungsmerkmal zum ›normalen‹ Museumsbesuch gekennzeichnet ist, insinuiert das
›digitale Museum‹ eine kategorische Abgrenzung von einem implizierten ›analogen‹,
die eben nicht entlang der Technik per se verläuft, sondern vielmehr entlang einer
bestimmten Form von technischer Funktionalität. Begriffsgeschichtlich leitet sich
das Adjektiv ›digital‹ vom lateinischen digitus (Finger, Zehe) ab, bzw. dem im Mit-
telalter daraus abgeleiteten Konzept der sog. ›Fingerzahlen‹ 1-9: Digital ist, was in
diskreten Werten ohne fließende Übergänge funktioniert, während das ›Analoge‹
(von lat. analogia: ähnlich, übereinstimmend) in einem Kontinuum existiert. Digita-
lität kann in Ziffern ausgedrückt werden, während analoge Gefüge über physikalische
Größen und Verhältnismäßigkeiten beschrieben werden müssen (vgl. Dotzler 2005:
9f.). Die auf Claude Shannon zurückgehende Trennung zwischen Analogität und Di-
gitalität (vgl. Shannon 1948) antizipiert damit in technisch-funktionaler Form bereits
die ontologische Verwerfung zwischen den ›Kosmogonien‹ von culture und compu-
ter layer, die Lev Manovich ein halbes Jahrhundert später feststellen sollte − und der
Begriff des digitalen Museums verortet seinen Gegenstand zwar noch nicht im Ge-
genüber der Realität, wohl aber in Modalitäten und Voraussetzungen kultureller Ent-
faltung, die kategorisch andere sein müssen als jene der analogen Institution.
Der 1997 von Katherine Jones-Garmil herausgegebene Sammelband The Wired
Museum setzt wiederum einen ganz anderen Akzent und rückt, indem von ›verkabel-
ten‹ Museen gesprochen wird, einerseits das World Wide Web und das Phänomen
Vernetzung ins Rampenlicht, betont andererseits aber auch die Bedeutung des Mu-
seums in seiner etablierten physischen Form: Das Museum löst sich nicht auf, wird
nicht irreal und produziert auch keine digitalen Ableger, die ein Eigenleben zu führen
imstande wären. Vielmehr wird das bestehende Museum an eine neue Kommunika-
tionsstruktur angeschlossen, in der es ein souveräner Akteur bleibt.
Ausgerechnet Ross Parry, der den Netzwerkcharakter des Museums als wohl ers-
ter und bislang einziger publizierter Museologe erkannt hat, wählt mit der Bezeich-
nung »media museum« (Parry 2006: 136) einen im Grunde nichtssagenden Begriff:
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien