Page - 128 - in Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
Image of the Page - 128 -
Text of the Page - 128 -
128 | Dinge – Nutzer – Netze
Virtualisierung aber bedeutet Verschiebung aus dem Sein in den Schein, und gerade in einer
Zeit, in der eine einst unvorstellbare Flut von visueller und akustischer Information über die
Menschheit hereinbricht, ist es umso wichtiger, darauf zu achten, daß »Visionen nicht durch
Televisionen« ersetzt werden. (Waidacher 2000: 7)
Was hier bei Waidacher anklingt wäre also die Position, dass dem Museum gerade
in Zeiten von Digitalisierung und Virtualisierung eine besondere Rolle als Anwalt
und Beschützer des authentischen Originalobjektes zukomme. Damit ist zugleich im-
pliziert, dass die Aura des musealen Objektes immer aus einer doppelten Situiertheit
hervorgeht ‒ nämlich einerseits aus jener in der historischen Welt, die es erst muse-
alisierbar macht, andererseits aus jener in der musealen Ausstellung, welche ihre Ex-
ponate als Sinnträger historischer Zeugenschaft kennzeichnet. Howard Besser sieht
aus diesem Grunde das auratische Erlebnis nicht nur als eine Reaktion des Rezipien-
ten auf die Konfrontation mit dem Museumsding, sondern auch als eine auf die sozi-
ale Situation des Museums, in der man das Objekt in einem sehr bestimmten räumli-
chen und epistemischen Kontext erlebt, den man zu jeder Zeit mit anderen Besuchern
teilt. Demgegenüber sei der Besuch im virtuellen Museum ‒ der ja letztlich nichts
anderes sei als ein Anschauen von Abbildungen auf einem Bildschirm ‒ ein beque-
mer, aber tückischer Prozess: Die einschränkungslose Verfügbarkeit digitalisierter
Exponate schalte nicht nur die pädagogisch-didaktische Funktion des Kurators weit-
gehend aus, sondern auch jenes Moment musealer Andacht, das sich eben gerade auf
das Wechselspiel von Präsenz und Unnahbarkeit der Objekte gründe (vgl. Besser
1997: 120).
Auch Stefanie Samida, die der Idee virtueller Museen durchaus positiv gegen-
übersteht, sieht im Begriff selbst lediglich eine Metapher: Ein virtuelles Museum sei
zunächst immer nur eine endliche Anzahl von Dateien, die museale Inhalte lediglich
abbilden und über eine Struktur von Links miteinander verbunden und abrufbar sind
(vgl. Samida 2002: 16). Eine Aura sei anhand dieser nicht erfahrbar, was allerdings
kein Nachteil gegenüber dem physischen Museum sein müsse: Vielmehr akzentuiere
die digitale Reproduktion andere Aspekte des Objektes, indem sie seine epistemi-
schen Eigenschaften über seine materielle Präsenz und damit Reflexion über Anmu-
tung stelle. Die Kopie ermögliche vielfältigere und unbefangenere Formen der Aus-
einandersetzung mit dem Gegenstand als das Original, gerade weil sie nicht dieselbe
Ehrfurcht einfordere (vgl. ebd.: 19). In diesem Sinne stelle das virtuelle Museum eine
Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Verhältnis von Erlebnisqualität und
Vermittlungsanspruch im Museum dar und könne die physische Institution durchaus
herausfordern (vgl. ebd.: 20).
back to the
book Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen"
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien