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132 | Dinge – Nutzer – Netze
Ganzes begriffen werden kann. Solche positiven Einheiten simulierter Erfahrungs-
wirklichkeit nennt Novak »attribute objects« (ebd.: 236). Das virtuelle Element liegt
bei ihnen gerade darin, dass sie nichts ›Eigentliches‹ an sich haben. Sie sind keine
sperrigen, vorgefundenen Entitäten, die man verhandelbar zu machen versucht, in-
dem man sie beschreibt, sie sind vielmehr ganz das Produkt der sie beschreibenden
Attribute (vgl. ebd.). Ein einfaches und einprägsames Beispiel für diesen vielleicht
etwas abstrakt erscheinenden Sachverhalt findet sich in Friedrich Kittlers Ausführun-
gen zur dreidimensionalen Computergrafik. Dreidimensionale Gegenstände, wie sie
uns z.B. in Computerspielen begegnen, bestehen grundsätzlich immer nur aus Ober-
flächen in Form von Vektoren, die eine sichtbare Peripherie beschreiben, welche
dann von einer Renderer-Software mit zweidimensionalen Texturen überzogen wer-
den kann (vgl. Kittler 2002: 184). Jedes dreidimensionale, von einem Computer auf
einen Bildschirm gebrachte Objekt besteht also aus einem ›Drahtgerüst‹ eindimensi-
onaler Linien und einem ›Bezug‹ in Form einer zweidimensionalen Bilddatei. Die
geometrische Beschreibung geht dem Ding damit nicht nur voraus − dies ließe sich
durchaus auch bei virtuellen Erscheinungen der physikalischen Welt beobachten, so
z.B. bei der bereits erwähnten Architekturskizze −, sie ist vielmehr im Wesentlichen
das Ding, das ansonsten selbst im höchsten ihm möglichen Zustand der Physikalität,
dem Erscheinen als Bild auf dem Monitor nämlich, flüchtig bleibt.
Der brasilianisch-amerikanische Multimediakünstler Eduardo Kac sieht daher bei
digital mediierten Kunstobjekten eine kategorische Verschiedenheit zwischen einer-
seits solchen, die lediglich Digitalisate eines zuvor existierenden Dinges aus der ana-
logen Welt darstellen, und andererseits jenen, die von Grund auf am Computer bzw.
in grafischen Interfaces entstehen. Diese Verschiedenheit ist für Kac keine vorrangig
ontologische, sondern vielmehr eine, die sich in diskrepanten Rezeptionssituationen
äußert. Das analoge Kunstwerk werde − außer in Projekten, die Performance-Ele-
mente mit einschließen − im Zustand seiner Entstehung bzw. seiner Unfertigkeit nur
vom Autor selbst erlebt. Der Betrachter, der dem Objekt dann in Museum oder Ga-
lerie begegnet, wird es nur in abgeschlossener Form kennenlernen, also niemals die
weiße Leinwand, den unbehauenen Marmor zu sehen bekommen. Digitale Erschei-
nungen hingegen entstehen in ihrer Aktualisierung über das Interface erst vor den
Augen des Rezipienten − und vergehen zugleich wieder, wenn dieser Aktualisie-
rungsprozess beendet wird (vgl. Kac 1997: 300). Damit fehlt digitalen ›Dingen‹ also
die entscheidende Charakteristik physikalisch-analoger, welche das Museum als Er-
innerungsdispositiv erst entstehen lassen konnte: jene nämlich, den Moment ihres
Zustandekommens zu überdauern.
Hannah Arendt sieht in ihrer Vita Activa in der Dauerhaftigkeit von materiellen
Dingen den Schlüssel zur Verankerung kultureller Formen in der menschlichen Le-
benswelt und verbindet damit zugleich eine Kritik an Karl Marx᾿ Begriff der Produk-
tivität. Marx definiert die produktive Tätigkeit grundsätzlich nur als jenen Teil der
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien