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›Virtuelle Museen‹: Medienwechsel und Kontinuität | 133
Arbeit, den ein Mensch über die bloße Erfüllung seiner Grundbedürfnisse hinaus leis-
tet, wobei Beschaffenheit und Ergebnis dieser Arbeit unerheblich sind: Nach Marx
ist das Backen eines Brotes, das wenige Tage nach seiner Herstellung entweder ge-
gessen oder ungenießbar geworden sein wird, nicht fundamental verschieden von der
Herstellung eines Möbelstücks, das Generationen zu überdauern imstande ist (vgl.
Arendt 2013: 111f.). Arendt sieht darin ein Versäumnis, das bloße »Arbeiten« vom
»Herstellen« zu unterscheiden − die Arbeitstheorie des Marxismus koppelt den Ar-
beitenden von der kulturellen Welt ab, in der er arbeitet und ermittelt den Wert seiner
Tätigkeiten nach reinen Subjektvariablen wie z.B. der in die Arbeit investierten Le-
benszeit. Wenn Menschen aber über ihre eigene Arbeit oder die anderer sprechen, so
tun sie dies meist in Verbindung mit den Effekten und den Unterschieden, welche
diese Arbeit in ihre Lebenswelt einbringt: Marx᾿ Vorstellung von Arbeit und Produk-
tivität wird also, so Arendt, nicht der Tatsache gerecht, dass in der menschlichen Er-
fahrung verschiedene Arten von Arbeit und ihre Ergebnisse auch grundverschiedene
»Wesensarten« aufweisen (vgl. ebd.: 112). Für sie ist Arbeit nämlich erst dort pro-
duktiv, wo sie herstellt: Produktive Arbeit heißt, Veränderungen in der äußeren Welt
zu bewirken, die den Moment ihrer Entstehung signifikant überleben − und dies wie-
derum geschieht nach Arendt nur dort, wo »Gebrauchsgegenstände« (vgl. ebd.:
112f.) geschaffen werden. Gebrauchsgüter unterscheiden sich nach Arendt von Ver-
brauchs- oder Konsumgütern darin, dass sie von unserem Umgang mit ihnen nicht
oder nur sehr langsam verzehrt werden und uns somit »vertraut« werden können:
Aus ihnen erwächst uns die Vertrautheit der Welt, ihrer Sitten und Gebräuche, die den Umgang
von Mensch und Ding wie den zwischen Menschen regeln. Was die Verbrauchsgüter für das
Leben des Menschen bedeuten, bedeuten die Gebrauchsgegenstände für seine Welt. (Ebd.: 112)
Das Herstellen ist also für Arendt die einzig produktive und langfristig kulturstiftende
Äußerung seines Daseins, zu welcher der Mensch imstande ist. Freilich äußert der
Mensch sein Dasein auch, wenn er »denkt«, »spricht« oder im weitesten Sinne des
Wortes »handelt« − aber diese Äußerungen sind nicht produktiv, solange sie kein
Ergebnis hervorbringen, das in der Welt bestand hat: Menschliche Kultur als Phäno-
menbereich ist erst das Produkt von Verdinglichungen und Ausmaterialisierungen
dessen, was sonst Rede, Gedanke, Geste oder singuläre Handlung bleiben müsste
(vgl. ebd.: 114). Wer also ein produktiver Denker sein will, der muss seine Gedanken
materiell in die Welt projizieren, indem er sie z.B. niederschreibt:
Die Faktizität des gesamten Bereichs menschlicher Angelegenheiten hängt davon ab, einmal
daß Menschen zugegen sind, die gesehen und gehört haben und darum erinnert werden, und
zum anderen davon, daß eine Verwandlung in die Handgreiflichkeit eines Dinghaften gelingt.
Ohne Erinnerung und die Verdinglichung, die aus der Erinnerung selbst entspringt, weil die
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien